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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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dass du mir von eurer Ehe erzählst.«
    »Oh! Von unserer Ehe. Na ja, also …«
    »War es eine gute Ehe?«
    »Ja … ich meine, alle Ehen haben Probleme, Schätzchen. Es gibt immer harte Zeiten. Aber ich habe deinen Vater sehr geliebt …«
    »Warst du glücklich?«
    »Ob wir glücklich waren? Ja, manchmal …«
    »Aber …?«
    Ihr lauter, gedehnter Seufzer klang, als würde Luft aus einem Ballon entweichen. »Bestimmte Dinge sind sehr persönlich, die musst du nicht erfahren. Dein Vater war ein guter Mann. Er starb viel zu jung. Du hattest keinen Vater, und das hat mir immer furchtbar leid für dich getan.«
    Für mich, aber nicht für sie. »Warst du bei ihm, als er starb?«
    »Nein, war ich nicht.«
    »Wo war er? Wie hast du es erfahren?«
    »Ella … Ich erinnere mich nicht mehr …«
    Meine Stimme zitterte. »Jetzt weiß ich, dass du lügst. Natürlich erinnerst du dich. Weil ich mich nämlich erinnere. Es war etwas passiert, und niemand wollte darüber reden. Aber ich habe es gewusst. Ich wusste es. Und ich hatte etwas gesagt … zu Oma Beene, und sie hat mir eine Ohrfeige gegeben.«
    »Oma Beene hat dich geohrfeigt?«
    »Ja. Und sie hat verlangt, dass ich das nie wieder sage …«
    »Was hast du gesagt?«
    »Irgendetwas wusste ich. Was ich nicht wissen durfte.«
    »Wirklich? Was denn?«
    »Mom, hör auf. Sag mir einfach, was du weißt.«
    Es folgte ein langes Schweigen. Ich beobachtete Callie, die vergeblich einem Schwarm Wachteln hinterherjagte, deren vorgestreckte, schwarz gefederte Köpfe wie Pudelmützen auf ihren plumpen Körpern wackelten. Joe und ich hatten im Frühjahr einmal abends hier draußen gesessen und dem Lockruf der männlichen Wachteln gelauscht:
Wobistdu? Wobistdu?
    »Du solltest es nie erfahren«, sagte meine Mutter. »Sein Tod war schon schwer genug.« Ich wartete. Die Wachteln hoben wie Synchronspringer ab und landeten auf dem Fliederbusch. Callie hatte gerade die Höhle eines Erdhörnchens entdeckt und fing an zu graben.»Und jetzt willst du es wissen? Wo du selbst trauerst? Wo du mitten in einem Sorgerechtsstreit steckst?«
    »Sag es mir einfach, bitte.« Doch in dem Moment, noch bevor meine Mutter die Kraft dazu fand, ging irgendwo in meiner Seele eine Tür auf, und Worte glitten heraus, steuerten an meinem Verstand vorbei schnurstracks auf meinen Mund zu, und es sprudelte aus mir heraus. »Er hatte eine Affäre … Mit meiner Lehrerin. Miss McKenna … Und er war mit ihr zusammen, als er starb. In ihrem Haus.«
    »Du wusstest das? Aber woher?«
    »Mom. Natürlich wusste ich das. Kinder wissen so etwas.« So wie die Augen des kleinen Mädchens mir gesagt hatten, dass sie wusste, warum ihre Mutter wieder geschrien und ihr Vater sich in kontrolliertes Schweigen geflüchtet hatte. Und dann fiel mir alles wieder ein. »Ich dachte, es wäre meine Schuld. Wenn ich in der dritten Klasse Mrs Grecke und nicht Miss McKenna gehabt hätte und nicht hingefallen wäre und mir das Knie auf dem Asphalt aufgeschlagen hätte, dann hätte Daddy keine Gelegenheit gehabt, sich in sie zu verlieben. Mein Gott, ich glaube, wir waren alle in sie verliebt, die Jungen und die Mädchen.« Am Ende dann doch Worte, die meinem Hirn unzensiert entwischt waren. »Es tut mir leid … O Gott, wirklich, es tut mir leid, was ich da gerade gesagt habe.« Dann eine weitere Erinnerung, die ich aber diskreterweise für mich behielt: Wenn ich mal nicht von Schuldgefühlen geplagt wurde, stellte ich mir vor, dass Miss McKenna meinen Vater heiratete und meine Mutter wurde – strahlend schön, in Parfüm gehüllt, mit rosa Lippenstift und selbstbewusst. Das genaue Gegenteil meiner Mutter, die in jener Zeit – verständlicherweise, wie ich jetzt weiß – missmutig war und nachts stundenlang vor dem Haus in unserem Kombi saß.
    »Drei Tage vor seinem Tod hatte ich die Scheidung eingereicht.« Ihre Stimme versagte. »Ich habe mich immer für seinen Herzinfarkt verantwortlich gefühlt, als hätten die Scheidungspapiere ihn verursacht.«
    »Nein, Mom. Es war meine Schuld, dass er gestorben ist.«
    Und dann erzählte ich ihr die Geschichte, in hellen und schattigen Bildern, die fertig entwickelt nur darauf gewartet hatten, dass ich sie zwischen uns auf die Leine hängte.

    Mehrere Monate vor dem Tod meines Vaters hatte Leslie Penberty mir das Haus von Miss McKenna gezeigt, und eines Sonntagnachmittags, als ich mit meinen Hund Barkley spazieren ging, hatte ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und an ihre Tür geklopft. Ich wollte

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