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Die andere Seite des Glücks

Die andere Seite des Glücks

Titel: Die andere Seite des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seré Prince Halverson
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nichts ändern.«
    »Wie kannst du das sagen? Es ändert alles.«
    »Du bist die Mutter, die sie kennen und lieben. Du bist diejenige, die ihnen ein liebevolles und stabiles Zuhause bieten kann. Und zwar in der Stadt, wo sie schon immer leben und wo sie jeden kennen. Wenn Paige sie mitnimmt, werden wir sie kaum je zu Gesicht bekommen.« Er hielt inne, atmete tief durch. »Vergiss, was ich gerade gesagt habe. Kein Richter würde wegen der Briefe seinen Standpunkt ändern. Ich meine, wir wissen nicht, was drinsteht. Wir können es beenden, bevor es anfängt.«
    Ich riss den Stoff ein Stück weiter ein und holte die Bündel heraus, zählte die Briefe, ohne die Gummibänder zu entfernen. Es waren sechsundzwanzig, halb so viel wie ein Kartenspiel. Die andere Hälfte der Geschichte. Auf den Bündeln kniend nähte ich den Riss wieder zu, wollte die Briefe aus Angst, David könnte sie an sich nehmen und damit weglaufen, nicht in eine Schublade legen. Nun stand er in einem seltenen Moment des Schweigens mit verschränkten Armen an die Wand gelehnt da und sah mir zu.
    Ich steckte die Bündel in den Hosenbund meiner Jeans, unter mein T-Shirt. Wir hievten den Sprungrahmen zurück aufs Bettgestell und die Matratze oben drauf. Er schüttelt die Daunendecke auf, die Kopfkissen.
    Erst als er das Zimmer verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, schob ich die Briefe zwischen Sprungrahmen und Matratze und ging ebenfalls zurück in die Nicht-so-Gute-Stube. Die Kinder schienen das unbehagliche Schweigen, das zwischen uns drei Erwachsenen auf einmal herrschte, nicht zu bemerken. Gil und David drückten sie zum Abschied. Gil nahm mich in die Arme, aber David ging, ohne auch nur in meine Richtung zu sehen.
    Ich musste weitermachen. Ich stellte den Korb samt Katzenklo über Nacht ins Zimmer der Kinder, kroch unter ihre Betten, um die Stoffbespannung ihrer Sprungrahmen nach Rissen abzusuchen – und danach, ob es noch weitere Briefe gab.
    Beide Kinder waren wegen der Kätzchen total aus dem Häuschen. Sie rannten kreischend vom Bad in die Küche, ins Schlafzimmer und wieder zurück, bis ich »Hört auf damit!« schrie, was Annie zu einer Runde lustiger Sprachreime inspirierte, die sie auf ihrem Bett hüpfend von sich gab.
    »Bitte! Lass es sein!«, stieß ich aus, wobei mir die Stimme versagte.
    »Was ist los, Mommy?«, fragte Annie, ließ sich auf den Po fallen und hopste weiter auf der Matratze herum. »Magst du die Kätzchen denn nicht?«
    »Doch. Ich bin nur müde.«
Lies ihnen
Ein Kater macht Theater
vor, dann setz dich zu ihnen auf die Bettkante, gib ihnen einen Kuss und nimm sie in die Arme, streich ihnen den Pony aus der Stirn, die vom Rumtollen ganz verschwitzt ist. Frag dich, ob sie ihn wieder schneiden oder lieber wieder herauswachsen lassen wollen. Beobachte ihre flatternden Augenlider, bis sie schließlich schlafen. Nimm die Kätzchen und bring sie in den Katzenkorb, vom sanften Miauen gemahnt, dass das ihre erste Nacht ohne Mutter ist. Leg ihnen einen alten Stoffbär aus der Spielzeugkiste mit hinein, und einen kleinen Wecker, als traurigen Ersatz für das schlagende Herz ihrer Mutter.
    Ich lag im Bett, doch das Gewicht der Briefe unter der Matratze lastete auf mir. Ich knipste das Licht an und zog die Bündel heraus. Die Briefe waren nach Poststempel geordnet, einige an Joe adressiert, einige an Annie und Zach. Die Handschrift war stets ordentlich und leicht seitlich geneigt, bei den ersten Briefen zittrig, bei den nächsten noch zittriger, doch dann wurde sie ebenmäßig und blieb so bis zuletzt. Nur die fünf Briefe mit den ältesten Poststempeln waren geöffnet.
    Ich machte mir eine Tasse Tee, starrte das Wasser an, bis es kochte, und tunkte den Teebeutel so lange hinein, bis es fast schwarz war. Dann ging ich zurück ins Bett und lud Callie mit einem Klopfen auf die Decke ein, mir Gesellschaft zu leisten. Ich wollte zwar alles lesen, aber nichts wissen.
    Ich wollte es einfach nicht wissen. Mein Leben, so wie ich es gelebt hatte, hing vom Nichtwissen ab.
    Ich legte die Briefe in die Nachttischschublade, das gerahmte Foto von Joe mit dem Gesicht nach unten, und versuchte, das schrille Rauschen zu dämpfen, das durch meine Adern jagte, wie das schrille Rauschen einer Sprechanlage, die gleich knisternd verkündete: Bereiten Sie sich auf die bevorstehende Katastrophe vor.

22. Kapitel
    Den ganzen nächsten Tag nahm ich immer wieder das Telefon in die Hand und legte es wieder weg. Meine Mutter? Nein. Lucy? Nein.

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