Die Anderen - Das Erbe erwacht (German Edition)
fühlte, dass jemand an seiner Schulter rüttelte, er sah in ein Gesicht, welches sich besorgt über ihn beugte, er schmeckte Blut in seinem Mund, roch einen moderigen Geruch. Dennoch hatte er das Gefühl, nicht selbst anwesend zu sein, alles von weit her zu erleben. Ein Fremder im eigenen Körper.
„Sind Sie okay?“, fragte ihn die besorgte Stimme, die zu dem fremden Gesicht gehörte. Finn blinzelte erneut und bewegte sich vorsichtig. Anscheinend lag er auf dem Boden. Der modrige Geruch rührte von dem feuchten Laub her, in dem er lag.
Meine ganze Hose ist nass und feucht, stellte er staunend fest. Es stinkt. Ich stinke.
„Hören Sie mich? Können Sie sich bewegen?“ Besorgnis klang aus der fremden Stimme. Finn nickte benommen, sah endlich auf und versuchte, das Gesicht genauer zu erkennen. Eine unbekannte Frau hatte sich über ihn gebeugt, musterte ihn überaus besorgt.
„Was ist passiert?“, brachte Finn stammelnd hervor und bemerkte betroffen, dass der Geschmack von Blut von seiner Lippe stammte, auf die er sich gebissen hatte. Es brannte ganz leicht. Seine Beine hingegen fühlten sich merkwürdig leicht an.
„Sie sind eben an mir vorbei gelaufen und dann einfach zusammengebrochen“, meinte die Frau, musterte ihn genau.
Über vierzig, blondgefärbte Haare, Typ besorgte Mutti, fasste sein Verstand die wichtigsten Informationen kurz und sachlich zusammen.
„Geht es Ihnen gut? Sie waren gerade bewusstlos.“ Ihr Griff um seine Schulter fühlte sich fest an, verhinderte, dass Finn wieder ins Laub zurücksank. „Ja“, meinte Finn, ohne nachzudenken und fragte sich gleichzeitig: Ja? Bin ich okay?
„Irgendwie fühle ich mich ... komisch“, ergänzte er verwirrt. Ich bin nicht ganz da, als ob ein Teil von mir ganz woanders ist. Was mache ich denn hier?
„Da haben Sie sich wohl ein bisschen zu viel zugemutet“, vermutete die Frau. „Soll ich Hilfe holen?“ „Nein“, antwortete Finn automatisch, hatte noch etwas Schwierigkeiten, seine wirren Gedanken zu ordnen, die sich vor allem um das „wo, wann und wieso“ drehen. „Es geht schon.“
Er stemmte sich hoch. Seine Beine fühlten sich zittrig und ziemlich unzuverlässig an.
„Soll ich nicht doch besser Hilfe holen? So kommen Sie ja nie im Leben heim.“
Seine Retterin stützte ihn, wohl besorgt, dass er gleich wieder stürzen würde. Nicht ganz unbegründet, wie auch seine innere Stimme warnend murmelte.
„Einen Moment noch. Geht gleich wieder“, murmelte Finn. Ich muss erstmal ... ich brauche erstmal etwas Zeit.
„Wo bin ich eigentlich?“, erkundigte er. „Vierhöfen. An der Kieskuhle, direkt an der Pferdeklinik. Erinnern Sie sich wieder?“, fragte die Frau mitfühlend nach. Finns Verstand erkannte unweigerlich den besorgten Ton mütterlicher Fürsorge darin. „Kommen Sie denn überhaupt nach Hause? Oder soll ich Ihnen nicht lieber ein Taxi rufen?“, schlug sie vor. Finn schüttele schwach den Kopf, während er die Informationen verarbeitete.
Vierhöfen? So weit war er gelaufen? Das lag am anderen Ende des Waldes. Wie lange war er denn unterwegs gewesen? Verwirrt starrte Finn auf seine Füße. Er konnte sich an kaum etwas erinnern. Aber eins war klar: diese Beine trugen ihn nicht nach Lüneburg zurück.
„Taxi? Ja! Das wäre sehr nett“, antwortete er daher erleichtert. Finn schüttelte den Kopf, um die Benommenheit abzuschütteln. Er war also zusammengebrochen. So etwas war ihm noch nie zuvor passiert. Er kannte seinen Körper gut genug, konnte ihn ans Limit bringen, aber in eine solche Erschöpfung hatte er sich noch nie hineingelaufen. Warum war er so weit gelaufen?
Neben sich hörte er die Frau telefonieren. Sie gab die Straße an und wandte sich ihm zu. „Ich bleibe hier, bis das Taxi kommt. Geht es Ihnen wirklich gut?“, fragte sie erneut nach. Nein, ich habe keine Ahnung, warum ich hier bin. Ich fühle mich dreckig, völlig alle und merkwürdig leer, dachte Finn, antwortete jedoch: „Es geht mir gut. Das wird schon wieder.“
Es war merkwürdig. Er fühlte seinen Körper, doch in ihm schien alles taub zu sein. Er nahm alles wie durch Watte oder dichten Nebel hindurch wahr. Sein Blick wanderte an sich hinab und er strich sich automatisch die nassen, braunen Blattreste und den hellen Sand von der Hose, blickte sich erstmals um. Er stand in einem Waldgebiet, das ihm vage bekannt vorkam. Er war hier schon einmal gewesen, sogar hier gelaufen. Irgendwann einmal.
„Es dauert bestimmt nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher