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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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Becken
ausgemessen, und man befand, daß ich es ohne weiteres schaffen würde,
allerdings müsse ich zur Entbindung ins Crosshouses Hospital, wo man auf
Kaiserschnitte und schwierige Geburten eingerichtet sei.
    Crosshouses war ein ehemaliges
Armenhaus, fünfundzwanzig Meilen von Whitchurch entfernt auf dem platten Land
zwischen Shrewsbury und Bridgenorth, ein riesiger viktorianischer Kasten, den
der staatliche Gesundheitsdienst übernommen hatte. Man sprach hinter
vorgehaltener Hand von den »Komplikationen«, deretwegen man nach Crosshouses
kam, und es herrschte dort eine Atmosphäre widerwillig gewährter Wohlfahrt. Der
Gynäkologe, der mich untersuchte und dann verkündete, ich hätte ein
gebärfreudiges Becken, ließ keinen Zweifel daran, daß er mich für einen
Bauerntrampel hielt. Ich sah ihn jedoch nie wieder, denn kurz darauf wurde er
vor die Ärztekammer zitiert und im Shropshire Star an den Pranger
gestellt, weil er für Betten des staatlichen Gesundheitsdienstes Geld verlangt
hatte. Er hatte seiner Verachtung für diese Einrichtung unverfrorener Ausdruck
verliehen als die meisten anderen, doch seine Einstellung war weit verbreitet:
Wer etwas umsonst bekam, durfte nicht auch noch Ansprüche stellen, in der guten
alten Zeit wurden mit solchen Leuten nicht viele Umstände gemacht, all die
geburtshilfliche Fachkenntnis war damals Bessergestellten vorbehalten, deren
Beckenknochen natürlich auch zierlicher geformt waren.
    Mit anderen Worten: Man mußte
zahlen, und wenn man nicht mit Geld zahlen konnte, zahlte man mit
Menschenwürde. Ledige Mütter kamen dabei am schlechtesten weg, aber auch als
verheiratete Frau hatte man bei den Ärzten keinen guten Stand, denn ihre
Geringschätzung der Patientinnen im allgemeinen wurde noch durch die
atavistische Vorstellung verstärkt, Schwangere seien nichts weiter als
wandelnde Gebärmütter, nur das Kind zähle. Die Klinik war eine einzige
Demütigung. Ich erduldete sie in rachsüchtigem Schmollen. Auch Umstandskleider
verschmähte ich; statt dessen trug ich Hemden und Jeans von Vic, die mir dank
der Kochkünste meiner Mutter bis zum Schluß paßten.
    Jeden Vormittag brachte sie uns
Kräcker mit Butter und Camp-Coffee mit Milch ins Eßzimmer, wo wir neben einem
elektrischen Heizofen aneinandergedrängt am Tisch mit den Geschäftsbüchern
meines Vaters saßen und unsere Ganztags-Hausaufgaben machten. Der Kamin konnte
nicht benutzt werden, weil der Schornstein mit dicht aufeinandergestapelten
Zweigen verstopft war, dem Parterre eines zweigeschossigen Vogelnestes, das bis
über den Kamin in unserem Zimmer im ersten Stock hinausreichte und auf dem Dach
noch aus dem Schornsteinaufsatz ragte. Denn die Tierwelt in Sunnyside
beschränkte sich nicht auf den Garten und die Koppel. Im Keller war eine
Quelle, die ab und zu Überschwemmungen verursachte. Im ersten Jahr wurde
vermutlich Froschlaich angeschwemmt, bevor das Wasser wieder abfloß, denn eines
Tages wimmelte es im Keller von winzigen Albinofröschchen, die nicht
hinauskonnten und sich im Dunkeln gegenseitig auffraßen. Im Mai kamen
Roßkastanienkäfer, die spät nachts wie eine Handvoll Steinchen gegen unsere
erleuchteten Fenster prasselten. Meine Mutter schauderte bei jeder neuen Plage,
aber im Grunde störte sie sich nicht daran. Wenn der Kater mit einer Maus als
Türklopfer an der Hintertür Einlaß begehrte, begrüßte sie ihn mit kleinen
Entzückensschreien.
    Sie war viel glücklicher als in
The Arowry. Als sie sich erst einmal an meine Schmach gewöhnt hatte, gefiel es
ihr, Vic und mich im Haus zu haben, solange wir ihr nicht im Weg waren. Das
galt auch für die anderen. Grandma hielt sich viel in ihrem Zimmer auf und
ordnete ihre Schätze neu, oder sie saß im Wohnzimmer und sah sich
Kindersendungen im Fernsehen an. Mein Vater bosselte oft hinten im Garten an
einem kaputten Lastwagen, und Clive demolierte mit seinem Freund Jeff die
Sachen im Billardzimmer. Meine Mutter konnte zu Mrs. Smith gehen oder kleinere
Einkäufe machen, wann immer sie wollte, aber sie sehnte sich nicht mehr wie
früher danach wegzukommen. Sie hatte die Küche für sich, ihr eigenes Reich.
Dort hörte sie mit halbem Ohr Radio, las Zeitung, lernte ihre Texte und
werkelte vor sich hin, und es wurde ihr, wie sie sagte, nie langweilig.
    Jetzt, da die Ställe als Garage
für die Lastwagen dienten, kamen die Fahrer meines Vaters — »die Männer« —
öfter auf eine Tasse Tee an die Hintertür, und Onkel Albert schaute auf seiner
Kohlenrunde herein

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