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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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Flüsterton
gesprochen wurde.
    Natürlich hätte damals niemand
zugegeben, daß er so dachte. Onkel Bills Lieblings-Sexbombe Brigitte Bardot,
die inzwischen fünfundzwanzig war und bald (im Januar 1960) mit ihrem Mann und
ihrem neugeborenen Baby strahlend in den Zeitungen posieren würde, sagte Jahre
später, daß sie ihren Sohn Nicholas über alles liebe, aber damals (»mais à
l’époque!«) sei es gewesen, als stoße man »une tumeur« aus. Noch
1996, als ihre Autobiographie erschien, löste diese Passage einen Proteststurm
aus. Der Bericht über ihr einziges Experiment mit der Mutterschaft war
allerdings wirklich provokativ. Damals wurden für Schwangerschaftstests
weibliche Kaninchen verwendet, und BB — die große Tierfreundin, Gail hätte ihre
Freude daran gehabt — erzählt, daß sie darauf bestanden habe, ihr Kaninchen
freizukaufen und mit nach Hause zu nehmen. Doch ihr Eingeständnis, daß sie das
Kind in ihrem Bauch als einen lebensbedrohlichen Klumpen betrachtete, war an
sich schon unverzeihlich, so tief verwurzelt ist auch heute noch die
Vorstellung, daß die Natur unsere Gefühle zwangsläufig unserem Zustand anpaßt,
sonst ist man ein Monster.
    Unversöhnt und unentdeckt
schaffte ich es bis zum Ende des Trimesters und zum Schulball. Die Angst
aufzufliegen verdarb uns das Leben nicht völlig. Ich erinnere mich, daß meine
Aufmachung für diesen letzten Ball eine ganz besondere persönliche Bedeutung
für mich hatte. Ich stand im Begriff, einen Schritt ins Dunkel zu tun, und so
trug ich wie eine Romanheldin ein schulterfreies Kleid, schwarz mit großen
nachtblauen Blumen, enge Taille und weiter Rock, in dem ich — wie ich es mir
zwei Jahre zuvor gewünscht hatte — wesentlich älter wirkte, üppig, in ein
grausames Korsett gepreßt, das meine Brüste hob, mit gestärkten Petticoats,
dunkelblauen Strümpfen und hochhackigen spitzen Schuhen — mit allen Insignien
billigen Glamours. Als Vic — angeklatschte Haare und Röhrenhosen — mich abholen
kam, traten wir vor den Spiegel über dem Kamin im Wohnzimmer und betrachteten
uns. Der Ball würde unser Abschied vom Schwebezustand des Teenagers sein.
    Einmal, früher in diesem
Winter, als meine Eltern und Clive nicht da waren und Grandma, nachdem sie sich
an Sunday Night at the London Palladium satt gesehen hatte, schon zu
Bett gegangen war, hatte ich mutwillig das ganze warme Wasser aufgebraucht und
war, nur in ein Badetuch gehüllt und mit einem Hauch Talkumpuder auf der Haut,
hinuntergegangen, um Vic hereinzulassen. Wir hatten uns, mit dem Halbdunkel
verschmelzend, auf dem Kaminvorleger umarmt und gelauscht, ob draußen Autoräder
über die Einfahrt knirschten. Als wir uns jetzt, für den Ball feingemacht, im
Spiegel betrachteten, dachten wir daran zurück und lächelten weltmüde, wie es
zu unserem Aufputz paßte.
    Zehn Tage später heirateten
wir. Ich trug meinen neuen Wintermantel, dessen Pelzkragen mich nicht mit dem
verhüllenden Schnitt aussöhnen konnte, der meiner Mutter so ins Auge gestochen
war. Unsere Mußheirat fand am zweiten Weihnachtsfeiertag statt, denn mein Vater
hatte herausgefunden, daß das Standesamt am 26. Dezember bei Bedarf geöffnet
sein mußte, auch wenn es an diesem Tag selten in Anspruch genommen wurde. Wir
waren die einzigen Kunden. Er fuhr uns durch die leeren morgendlichen Straßen
zum Rathaus, wo ein schlechtgelaunter Standesbeamter sein Sprüchlein hersagte
und wir die Papiere unterschrieben, bezeugt von Mrs. B. R. D. Sage und Mr. und
Mrs. E. P. Stockton. Dann traten wir in die kalte Sonne der High Street hinaus.
Niemand fotografierte, keine Menschenseele war zu sehen, die Bürgersteige waren
mit Rauhreif und Salz überzogen, und es war so still, daß man die
Flittergirlanden über der Straße im Wind rascheln hörte.
    Wir zwängten uns ins Auto und
fuhren nach Sunnyside zurück, wo die elektrischen Kerzen am Weihnachtsbaum
wieder einmal flackerten und von meinem Vater eine nach der anderen überprüft
werden mußten, damit die defekte Birne ermittelt und ausgetauscht werden
konnte. Er übernahm solche Aufgaben gern, um die Zeit auszufüllen, in der er
nicht arbeitete, und an diesem Tag kam es ihm besonders gelegen, denn wir
wußten ohnehin nicht, wie wir die Pause bis zum kalten Truthahn überbrücken
sollten. Es war nicht eben ein Anlaß zum Feiern — mit den Jahren wurde es dann
doch einer, ein Fest wie Silvester und mein Geburtstag im Januar; die
Weihnachtsdekoration konnte dafür gleich weiterverwendet werden.

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