Die Anfänge meiner Welt
Getreu meinem Entschluß sagte ich
den ganzen Abend über nichts, wir gingen zu Bett wie immer, und ich konnte zwar
nicht schlafen, aber das war nichts Ungewöhnliches, denn meine Schlaflosigkeit
war mit den Beschwerden der Schwangerschaft wiedergekehrt, und Vic und ich
lasen einander häufig bis in den Morgen vor. An diesem Abend war er dran. Wir
waren mitten in John Wains Roman Hurry on Down, dessen Titel so absurd
zu dem Ereignis paßte.
Es war eine Variation über das
Thema des zornigen jungen Mannes, ein Porträt des Künstlers als Gagschreiber.
Die Witze waren plump, ich mußte trotzdem lachen, und gleichzeitig entführ mir
ein Stöhnen, das mich verriet. Vielleicht hatte ich die Nerven verloren.
Jedenfalls wurde mir die Sache aus der Hand genommen, ein Krankenwagen wurde
gerufen, und Vic begleitete mich auf der langen Fahrt über Nebenstraßen nach
Crosshouses. Als wir gegen halb vier Uhr morgens dort ankamen, trat ich in
meiner Panik mitten in eine von mir selbst stammende Pfütze. Die diensthabende
Krankenschwester merkte anscheinend sofort, daß ich absichtlich so lange
gewartet hatte, und versetzte mir ein paar kräftige Ohrfeigen, schickte Vic mit
dem Krankenwagen nach Whitchurch zurück und schaffte mich in den Kreißsaal.
Dort holte mich die Zeit ein.
Während die schlagkräftige Schwester die Ärztin wecken ließ, lag ich da, wo sie
mich deponiert hatte, und beobachtete den Zeiger der Wanduhr. Es ging viel zu
schnell. »Nicht pressen!« schrie sie (sie wollte die Ärztin dabeihaben), aber
ich konnte nicht aufhören zu pressen, und obwohl mir war, als würde ich
entzweigerissen (was auch der Fall war), und der Sekundenzeiger sich so langsam
zu drehen schien wie für jemanden, der auf Speed ist, hatten das Adrenalin
meiner Angst und meine siebzehnjährigen Bauchmuskeln es bald geschafft. Die
zerknautschte, schlaftrunkene Inderin, die sich im Laufen ihren dicken Zopf
hochsteckte, kam zu spät, die Schwester bog bereits meinen schlaffen Arm um ein
kleines, in eine Decke gewickeltes Mädchen, um es mir gleich darauf wieder zu
entreißen. Dann war alles vorbei, bis auf das Nähen, das höllisch weh tat. Man
gab mir Lachgas und Sauerstoff und ließ mich dann allein, bis es wirklich
Morgen war. Ich beobachtete fasziniert die Uhr. Es war erst Viertel nach vier,
die Zeit an der Schwelle des Tages, und ich war noch nie so wach gewesen. Es
war, als wäre ich gestorben und mit der Fähigkeit, die Uhr zu lesen,
wiedergeboren worden. Ewigkeiten später kam eine Helferin mit Schrubber und
Wischlappen herein, und als sie mich da liegen sah, brachte sie mir auf
telepathische Anordnung meiner Mutter eine Tasse heißen, gesüßten Tee, den ich
im hohen Bogen wieder erbrach (macht nichts, sagte sie und wischte die
Bescherung auf), und dann schlief ich ein.
Auf der Entbindungsstation kam
ich wieder zu mir, als der Crosshouses-Tag begann. Alles war streng
reglementiert: nicht nur wurden auf die Minute pünktlich Temperatur und
Blutdruck gemessen, Bettpfannen verteilt und Medikamente verabreicht, es gab
auch Unmengen anderer Regeln. Haarewaschen war streng verboten, auch wenn man
schon wieder ins Bad gehen konnte, Make-up wurde mißbilligt. Alles, wodurch man
sich weniger schmutzig und am Boden zerstört hätte fühlen können, war
grundsätzlich untersagt, denn zuallererst kam das Baby, und Haarewaschen war
der Crosshouses-Logik zufolge Eitelkeit und somit ein Verrat an der
Mutterschaft. Infolgedessen hatten alle strähnige, verschwitzte Haare, manche
grau, denn mehrere der Frauen hatten unter Mißachtung von Sitte und Anstand
noch mit über Vierzig Kinder bekommen. Die Krankenschwestern und die
Oberschwester dagegen waren Vestalinnen, unverheiratet oder zumindest
kinderlos, ihr Babykult war rein. Selbstlos dienten sie der Sache der
Mutterschaft, ganz anders als die verantwortungslosen Frauen in ihrer Obhut,
die wahrscheinlich nur Sex im Kopf gehabt und nicht verhütet hatten und ihre
Kinder nicht verdienten.
Waren die Mütter also der
letzte Dreck, so traten die Väter praktisch überhaupt nicht in Erscheinung,
denn die Besuchszeiten waren kurz, die Klinik war mit dem Bus nicht zu
erreichen, und öffentliche Fernsprecher gab es nicht. Die Station war die Welt.
Die Babys lagen auf der Säuglingsstation ein paar Korridore weiter, Müttern war
der Zutritt verboten. Nachts wurden die Kleinen mit der Flasche gefüttert und
schrien ununterbrochen, weil sie sich gegenseitig wach hielten, tagsüber wurden
sie uns im
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