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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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nebelte sich ein. Er
rauchte Pfeife. Theoretisch zumindest. In der Praxis dachte er sich besondere
Rituale aus, um diese Gewohnheit komplizierter und
befriedigender-weil-unbefriedigend zu machen. Mit Pfeifenreinigern und
Auskratzern zu hantieren genügte ihm nicht, teils weil er nach Zigaretten
gierte — obwohl sie einen »alten Schmerz« in der Brust wachriefen — , teils
weil es ihm weh tat, das Mundstück zwischen die schmerzenden Zähne zu klemmen.
Jedenfalls spielt er nicht bloß mit Pfeifenaccessoires herum, er geht noch
weiter. Als Parodie eines Bastlers schnitzt er: »Habe meine Pfeife
kürzer gemacht — die Peterson — und sie dabei ruiniert«, lautet ein lakonischer
Eintrag im Januar. Bekümmerte ihn das? Wohl kaum — allerdings weiß man nicht,
ob er zu diesem Zeitpunkt schon auf den Pfeifentrick verfallen war. Ist ihm
klar, was er in Wirklichkeit will — die Pfeife (aus Versehen natürlich)
kaputtmachen, damit sie ihren wahren Zweck erfüllt und ihm einen Vorwand liefert,
zur Zigarette zurückzukehren? Im Februar ersteht er eine neue Peterson (»Nr.
II«), und am Samstag, dem 22.April, experimentiert er erneut und liefert dafür
die perfekte Rationalisierung: »Nach dem Essen habe ich aus meiner
Peterson-Pfeife eine Zigarettenspitze gemacht. Die ganze Pfeife ist zu schwer
für meine Zähne.« Und im Mai: »Rauche immer noch Zigaretten, werde aber wohl
zur Pfeife zurückkehren müssen.« Schon am nächsten Tag kauft er sich eine
namenlose Pfeife, legt sie jedoch voll Abscheu sofort wieder weg — »raucht sich
miserabel. Billige Pfeifen taugen nichts.« Am 15. Mai kauft er sich wieder eine
Peterson, »eine tulpenförmige Peterson Nr. 3« diesmal, und schafft es, sie
binnen kürzester Zeit ebenfalls zu zerstören: »Samstag, 27. Mai. Habe meine Peterson-Pfeife
kaputtgemacht. Muß wohl bei der Zigarettenspitze bleiben.« Am Montag vermeldet
er stolz, daß er »jetzt eine Zigarettenspitze aus der Peterson gemacht« hat. An
einem der folgenden Tage geht er los und kauft eine neue »leichte« Pfeife (3.
Juni), die er zwei Tage später ebenfalls in eine Zigarettenspitze umwandelt. Am
9. Juni kauft er eine Peterson Nr. 33...
    Mit zunehmender Frustration
dreht sich das Rad seiner destruktiven Basteleien immer schneller, und das
Rauchen wird zu einer weiteren Scheinbeschäftigung. Sein Gemütsleben ist in
ständiger Bewegung — er ist ganz in sich selbst vertieft und zugleich von sich
abgestoßen, und das Herumwerkeln wechselt ab mit Sinnlosigkeitsgefühlen. »Habe
den ganzen Tag vertrödelt, war schlecht gelaunt und habe mich elend gefühlt«
(März). »Einen sinnlosen Tag im Arbeitszimmer verbracht« (April). Obwohl er
ständig zu Hause ist und mit seinem knochigen Hinterteil die Stühle abnutzt,
existiert seine Familie kaum für ihn — mit Ausnahme meiner Mutter. Und
das war die zweite Überraschung im südwalisischen Teil des Tagebuchs von 1933:
Seine heranwachsende Tochter Valma (sie wird am 14. März fünfzehn) hat einen
Platz im Gehäuse seiner Einsamkeit. Er erteilt ihr seit einem Jahr zu Hause
Unterricht (wie er im Mai berichtet), und wie das Radio, die Bücher und die
Pfeifen belebt ihre Gegenwart plötzlich das Haus. »Vormittags und nachmittags
Valma abgehört. Zur Teezeit war Latein dran.« »Den ganzen Nachmittag zu Hause
geblieben und Valma unterrichtet.« Er stellt Lehrpläne für sie auf und läßt sie
Prüfungen ablegen. Sie ist seine Verbindung zur Außenwelt, in mehr als einer
Hinsicht, denn sie macht auch Besorgungen für ihn und bringt seine Briefe zur
Post.
    Meine Mutter gibt auch den
Brief auf, in dem er sich um die Pfründe Pencoed bewirbt, nachdem er aus Angst
vor einer Abfuhr (die er ja dann auch bekam) tagelang überlegt hat, ob er sich
damit nicht eine Blöße gibt. Valma ist sein Garant für eine mögliche Zukunft.
Das überraschte mich um so mehr, als sie mich immer hatte glauben lassen, sie
habe ihm nie nahegestanden, habe nie eine verschworene Lerngemeinschaft mit ihm
gehabt wie ich als Kind. Aus den Erzählungen meiner Mutter waren die Latein-
und die Klavierstunden (sie war musikalisch im Gegensatz zu mir) spurlos
getilgt. Warum? Warum hatte sie sich auf die Seite meiner Großmutter
geschlagen, und wann? Was später in Hanmer geschah, erklärt, fürchte ich, sehr
genau, warum. Über seinen Sohn Billy äußert sich Grandpa kalt und distanziert;
er nimmt nur dann von ihm Notiz, wenn der Junge die Schule schwänzt und dafür
die gebührende Tracht Prügel bekommt. Und schon

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