Die Anfänge meiner Welt
dieses Geld
schlug ein anderes Kapitel von Grandmas Geschichte auf. Woher hatte sie es? Und
wie war sie in den Besitz jener beträchtlichen Summe — an die fünfhundert Pfund
— gelangt, die sie bei der National Savings Bank auf meinen Namen (damit mein
Vater sie nicht erben konnte, wie sie mir einmal sagte) angehäuft hatte? Damals
machte ich mir nicht groß Gedanken darüber und tat die Theorien, die in der
Familie kursierten, als Märchen ab. Doch Grandmas Gepflogenheit, die Grenze
zwischen Phantasie und Wirklichkeit zu verwischen, und ihre Fähigkeit, mich in
die Vergangenheit hinabzuziehen, haben sie um viele Jahre überlebt.
Was das Geld anbelangt:
Kürzlich fragte ich meinen Vater, ob an einigen besonders krassen Geschichten,
an die ich mich im Zusammenhang mit meinen Großeltern erinnere, etwas Wahres
sei. Was hatte es damit auf sich, daß es hieß, Grandma habe Grandpa jahrelang
erpreßt, sie habe gedroht, dem Bischof sein Tagebuch zu zeigen, wenn er nicht
jedes Quartal einen Teil seiner Bezüge an sie abtrete? Doch, ja, sagte mein
Vater, das stimme tatsächlich. Aber woher weißt du das? fragte ich ihn. Ganz
einfach, erwiderte er, ich habe die Tagebücher aufgehoben, zwei davon
jedenfalls. (Grandma hatte auch sie in einem der Koffer aufbewahrt, aber meine
Mutter hatte nie etwas davon verlauten lassen.) Nach einigem Zureden rückte
mein Vater sie heraus: zwei billige rötliche Taschenkalender der Jahre 1933 und
1934, beide bei John Walker & Co., Farringdon House, Warwick Lane, EC4
erschienen, vollgeschrieben in winziger Schrift, in wöchentlichen Abständen mit
bunten Marken verziert, die Grandpa eingeklebt hatte, um den Kirchenkalender zu
kennzeichnen. Dadurch blieb noch weniger Platz für die kompromittierenden
Details seines täglichen Lebens, aber er brachte immer noch genug davon unter.
Der Sündenfall
Es besteht kein Zweifel, daß
Grandma Großvaters Tagebücher der Jahre 1933 und 1934 als Beweise gegen ihn
aufbewahrte. Denn in dem von 1933 finden sich einige bissige Randbemerkungen in
ihrer Schrift — Hier fängt der Spaß an (Freitag, 25. August), und genau
eine Woche später Die Liebe beginnt (Idiot). Hätte Grandpa das Geld
nicht herausgerückt, dann hätte sie die belastenden Dokumente zum Bischof
getragen, mit Skandal und Scheidung gedroht und ihn noch um seine kärgliche
Pfründe gebracht.
Als ich die Tagebücher las, war
es ein wenig, als würde ich die Anfänge meiner Welt belauschen. 1933 war das
Jahr, in dem die Großeltern von Südwales nach Hanmer kamen. So also war das
Hanmer, in dem ich aufwuchs, entstanden — so erhielt das Leben im Pfarrhaus
seinen mittelalterlichen Anstrich, so entfernten wir uns von einem
wohlanständigen Leben, so verlor das Geld allmählich seinen Sinn, und so geriet
mein Großvater in die für ihn so bezeichnende Rolle des theatralischen
Märtyrers. 1933 war, wie er nicht zu vermerken versäumte, die
neunzehnhundertste Wiederkehr der Passion Christi: »Dies ist das Jahr der
Kreuzigung A.D. 0-33, 1900-1933. Ein Heiliges Jahr.« Er selbst war nicht
dreiunddreißig, sondern einundvierzig und — bevor man ihm diese ausgedehnte
Landpfarrei im Norden anbot — voll Sorge, seine Laufbahn in der Church of Wales
könnte zu einem beschämenden Stillstand gekommen sein. Er war seit zwölf Jahren
am selben Ort. »Jetzt ist der Winter vorbei«, schreibt er am Abend des 8.
April, einem Samstag, als er eine Art spirituelle Inventur macht, bei der er
bereits in seinen Sonntagsstil verfällt, »und ich bin immer noch an St. Cynon.
O Herr, gib mir doch endlich eine kleine Chance. Dein Wille geschehe.« Doch
Pencoed, die südwalisische Pfarrei, auf die er spekulierte, wird schon am
darauffolgenden Donnerstag anderweitig vergeben, und tags darauf, am
Karfreitag, macht er das Beste aus seinem Kummer, indem er zum Thema »Wer wälzt
uns den Stein von des Grabes Tür... ?« predigt.
Erst im weiteren Verlauf der
Osterwoche erfährt er das volle Ausmaß seiner Demütigung — zumindest vertraut
er es erst jetzt dem Tagebuch an: »Sie haben mich tatsächlich übergangen und
einen jungen Kerl genommen, der erst seit 1924 ordiniert ist. Jetzt ist alles
aus. Keine Hoffnung und keine Chance.«
Aber er hat fatalerweise mit
der Hoffnungslosigkeit leben gelernt. Er vertrödelt seine Zeit und verdrängt
den Groll über die Zurückweisung. Die Lektüre des kompromittierenden Büchleins
erschütterte mich deshalb, weil die erste Hälfte — mit Ausnahme der wenigen
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