Die Anfänge meiner Welt
klingt es, als würde er immer noch
Achterbahn fahren: »Vor einem Jahr bin ich in diese Gemeinde gekommen. Alles in
allem bin ich sehr glücklich hier, aber es hat auch Trauriges gegeben. PSD ist
ein guter Freund. MB ist eine große Enttäuschung, eine Frau ohne alle
Grundsätze. Es war eine glückliche Woche, und ich finde, es ist uns recht gut
gegangen...« Die schlimme Marj klatscht über die Promiskuität ihrer Rivalin,
und ohnehin kann er die lästige Wahrheit über seine Affäre mit MB jetzt getrost
beiseite schieben, denn er denkt nur noch an die Zukunft. Es war, wie sich
gezeigt hat, eine Beziehung, die keine Zukunft hatte, und das genügt, um
MB rückblickend zu verdammen. Unterdessen läßt er sich bei jeder Gelegenheit
auf dem Sozius des Kuraten mitnehmen und zieht prächtige Auspuffwolken hinter
sich her.
Die Tage bleiben heiß, und
allmählich zeichnet sich in den scheinbar beliebigen Ausflügen der
Pfarrhausgesellschaft ein Muster ab. Es gibt da eine phantomhafte Vierergruppe
(mal sieht man sie, mal wieder nicht), zwei Paare, die im Endeffekt nie
gemeinsam unterwegs sind, einander aber spiegelbildlich gleichen. PSD nimmt
Valma auf dem Motorrad mit, ego und Marj bleiben allein zurück. Diesmal
hat Grandpa wenigstens so viel Anstand, nicht Gottes Ratschluß zu bemühen.
Praktisch zum erstenmal zeigt er sich sogar bewußt aufsässig und fordert den
großen Himmelspolizisten heraus, ihn zu bestrafen. Am 6. August: »Val und der
Kurat mit dem Motorrad unterwegs. Marj im Arbeitszimmer auf meinem Schoß. So also
endet dieser Tag. Was soll’s!« Kein Blitz schlägt ein. Auf den ersten Blick
sind sie nur eine harmlose, fröhliche Gesellschaft. Er übersteht sogar einen
Urlaub in Südwales mit Hilda, Katie und den Kindern, aber ohne Marj und PSD.
Doch Katie bleibt im Rhondda-Tal zurück, um wieder im Geschäft zu arbeiten, und
nach und nach schwindet die festliche Sommerstimmung. Im September treffen
Grandpa und MB in kühler amtlicher Funktion am Sterbebett eines
Gemeindemitglieds zusammen, in seinen Augen ein poetisches Symbol für die
Vergänglichkeit der Leidenschaft. — »All das ist nun zu Ende.« Aber nur, was MB
anbelangt, denn er fügt verschmitzt hinzu: »Die Zeit vergeht sogar auf dem Land
wie im Flug.« Kinobesuche mit PSDs Motorrad (im Oktober Marlene Dietrich in Die
scharlachrote Kaiserin) erhalten die Illusion ebenso aufrecht wie heimliche
Rendezvous mit Marj im Schutz von Valmas Ausflügen mit dem jungen Geistlichen:
»PSD mit Val nach Wrexham ins Kino« (23. November). »Und so vergeht der Tag wie
im Flug.« Tage mit Flügeln sind die Chiffre für Zärtlichkeiten mit Marj.
Nicht einmal seine Tarnung war
übermäßig reputierlich. »Flott« wäre wohl noch die freundlichste Bezeichnung
dafür gewesen, wie das Leben im Pfarrhaus nach außen hin wirkte. Doch da man
sich in Hanmer befand, wo Grandpas Affäre mit MB bekannt war, argwöhnten die
Leute das Schlimmste und begannen sich zurückzuziehen. Selbst Lady Kenyon,
obwohl zu vornehm, um Ansteckung zu befürchten, ließ Grandpa fallen. Sie machte
sich zwar noch die Mühe und drängte Marj, Hanmer endlich zu verlassen und ihre
Schwesternausbildung anzufangen, aber die Einladungen nach Gredington wurden
seltener. Ein Zyniker könnte sagen, die Marj-Affäre sei ein Affront für die
reiferen Reize gewesen und habe damit die Damen von Hanmer vollends vergrämt.
Doch es muß auch ehrliche Empörung gegeben haben, besonders darüber, wie
unbekümmert er seine Tochter ermunterte, ihren Ruf zu ruinieren. Schon allein,
daß er die Grenzen zwischen Generationen und Klassen niederriß (Marj war zwar
keine achtbare Person, aber auch keine wirkliche Außenseiterin), war moralisch
unsauber und muß einen Hautgout von Dekadenz gehabt haben, von der sexuellen
Seite ganz zu schweigen. Und in gewisser Weise spielte auch Hilda das Spiel
mit, denn sie entzog sich ihren Pflichten als Ehefrau und Mutter. Die
nächtelangen Kräche, die jetzt wieder anfingen, würzten das Hexengebräu der
Bosheit. So leuchtet es ein, daß nach und nach — ausgesprochen und
unausgesprochen — ein Sperrgürtel um das Pfarrhaus gelegt wurde und es zu einem
moralischen Slum verkam.
Aber was spielte sich drinnen ab? Wann merkte Valma, was ihr Vater und Marj trieben? Wann begriff sie, daß
auch über sie geredet wurde? Was wußte sie überhaupt von Sex, der für ihre
Mutter doch etwas so Abstoßendes war? Von MB muß sie gewußt haben, aber das
hatte sie ihrem Vater offenbar nicht
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