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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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Menschen, die ihr etwas bedeuteten, waren ihre Schwester, ihre
Kindheitsfreundinnen in Südwales und — vielleicht — ich, weil ich blaue Augen
und blondes Haar hatte und ein Mädchen war, möglicherweise also nach ihrer Familie schlug. Für sie gehörten Männer und Frauen zwei verschiedenen Rassen
an, und jede Vermischung war heller Wahnsinn. Der »alte Teufel«, mein
Großvater, hatte ihr die Ehe und die Tortur zweier Schwangerschaften
aufgeschwatzt, und das sollte ihm niemals verziehen werden. Sie bebte vor Zorn,
wenn sie an ihren tiefen Fall dachte. Sie war klein (ungefähr einen Meter
fünfzig) und so dick und schwabbelig, wie er dünn und drahtig war, so daß ihre
Zwei-Rassen-Theorie ganz plausibel erschien. Als ich den Kinderreim »Jack
Sprat, der aß kein Fett, / seine Agnes aß nichts Magres, / So leckten die
beiden im Verein / Nach jeder Mahlzeit den Teller rein« lernte, schien es mir
irgendwie, als handelte er von den beiden. Später wurde mir klar, daß — neben
dem Suff (und seiner Schürzenjägerei) — auch Grandma ein Grund gewesen sein
muß, warum er sich so viel in der Kirche aufhielt. Sie bekam ihre Rache, doch
um den Preis, daß sie selbst im Dreckloch leben mußte.
    Mit vereinten Kräften erzeugten
meine Großeltern im Pfarrhaus eine so gründlich vergiftete Atmosphäre, daß
alles und jedes auf ihr Konto zu gehen schien. Aber so war es nicht. Meine
Mutter, ihre Tochter, war auch noch da, wenn auch in meiner Erinnerung anfangs
nur als ein schüchternes, schlankes, fast körperloses Wesen, mit Schaufel und
Besen auf der Treppe kniend. Sie hatten sie nach ihrer Heirat zur Haussklavin
gemacht — mein Vater war beim Militär, und ein eigenes Leben hatte sie nicht.
Sie war es, die aufmachte, wenn es an der Haustür klopfte, und die den Schein
zu wahren suchte, eine längst verlorene Schlacht. Sie trug ihr blondes Haar in
einer Innenrolle, und sie war hübsch, lächelte aber nicht gern. Sie hatte
falsche — etwas unfachmännisch überkronte — Schneidezähne, weil sie als
Heranwachsende die Treppe hinuntergefallen war und sich die Zähne ausgeschlagen
hatte, als sie herbeirannte, um einen mörderischen Streit ihrer Eltern zu
schlichten. Wahrscheinlich war ihr damals ohnehin nicht zum Lächeln zumute.
Aber sie kommt hier eigentlich noch nicht ins Spiel, so wenig wie mein Vater.
In meiner einzigen frühen Erinnerung an ihn werde ich von einem Mann in Uniform
hochgehoben und spucke ihm über den Rücken. Er war im Pfarrhaus nicht
willkommen, obwohl sein Sold Großvaters kärgliche Bezüge aufgebessert haben muß.

    Meine Großeltern waren nicht
dankbar. Beide fühlten sich vom Leben betrogen, hegten einen über die Jahre so
sorgsam gehätschelten Groll, daß man ihnen Gefälligkeiten, Aufmerksamkeiten
oder was auch immer geradezu schuldete. Ihre Tochter und ihren Sohn hatten sie
in ihren Kämpfen als Geiseln benutzt, ansonsten aber vernachlässigt, denn sie
waren auf ihre Art viel zu sehr voneinander in Anspruch genommen, um noch groß
Gefühle übrig zu haben. Mit mir war es anders: Da sie sich nicht mehr wirklich
stritten, hatten sie Zeit zur Verfügung, und das kam mir zugute. Liebten sie
mich? Sie verwöhnten mich jedenfalls, beide, vor allem damit, daß sie mir den
falschen Eindruck vermittelten, ich hätte Anspruch auf nahezu pausenlose
Zuwendung. Sie spielten. Sie waren wie Kinder, denn zum Kindsein gehört,
daß man eine Art Parasit ist und das auch rücksichtslos durchsetzt. Ich will.
Sie waren gut im Wollen, und ich hatte, als ich drei oder vier war, viel mehr
mit den beiden gemeinsam als mit meiner Mutter. Außerdem konnten sie es
durchaus mit den Fabelmonstern in den Märchenbüchern aufnehmen. Nach Grandmas
Auffassung zeigte man kleinen Kindern seine Zuneigung dadurch, daß man mit den
Lippen schmatzte und sagte: »Du bist so süß, ich freß dich gleich mit Haut und
Haaren auf!« Das zu glauben fiel bei ihrer Leidenschaft für Zucker nicht weiter
schwer. Ich glaubte ihr zumindest so weit, daß ich einen lustvollen
Angstschauder verspürte. Sie zwickte auch gern, und manchmal, wenn ihr die
Worte ausgingen, spuckte sie vor Haß aus.

    Das häusliche Leben im
Pfarrhaus hatte etwas Mittelalterliches, das so gar nicht zu dem Gebäude paßte,
einem bescheidenen, altersdunklen Backsteinbau aus dem achtzehnten Jahrhundert,
mit niedrigen Decken, Dachkammern und einer Hintertreppe für die nicht
vorhandenen Dienstboten. Die Vorderseite war einem kleinen Platz zugewandt, den
nur Besucher und

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