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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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etwa, daß man sich dort,
wo man es nicht sah, so gut wie nie wusch. Das war im Pfarrhaus geradezu ein
Prinzip, Maßstab unserer Feindseligkeit gegenüber der Außenwelt und unseres
Abgesondertseins. Unter unseren Kleidern lag die Kultur darnieder. Und das
hatte nichts mit Geld zu tun.

    Grandma hatte zwar ihre
parfümierte Seife, benutzte sie aber nicht; sie kaufte sie des Duftes wegen und
bewahrte sie, in Seidenpapier gewickelt, in Schubladen und Koffern auf. Sie
behauptete steif und fest, ihre Haut sei zu empfindlich für Wasser und Seife.
Wir hatten sogar ein Badezimmer, aber irgendwie fand Waschen ausschließlich in
der Form statt, daß man auf dem Herd Wasser heiß machte, es in eine Schüssel
goß und jeweils nur einzelne Partien wusch — sehr kleine Partien, in der Regel
immer dieselben. An den so entstehenden Gezeitenmarken, in meinem Fall an Hals,
Handgelenken und Beinen, wurde von Zeit zu Zeit verzweifelt herumgeschrubbt.
Ein weiteres Problem, ein ganzes Knäuel von Problemen, waren die Haare: Das
Bürsten war meist schon traumatisch genug, auch ohne daß sich die Haare durch
Waschen wieder total verhedderten, und so blieben meine Zöpfe tagelang
geflochten. Auch unsere verborgene Schmuddeligkeit sonderte uns ab. Dreck bei
anderen Kindern bedeutete, daß sie ordinär waren, schandbar pflichtvergessene
Eltern hatten und daß man sich bei ihnen »etwas holen« konnte. »Dreckig« war
eines von Grandmas Lieblingsschimpfwörtern — die Leute im Dorf waren dreckig,
Besucher waren dreckig, mit dreckigen Kindern durfte ich nicht spielen. Es gab
mithin zwei Arten von Dreck, ihren und unseren — eine durchaus metaphysische
Unterscheidung, wie sie sich für das Pfarrhaus geziemte.
    Wie zum Beweis stand nebenan,
ebenfalls mit der Vorderfront zum Platz, ein baufälliges Fachwerkhäuschen aus
dem sechzehnten Jahrhundert, zum Bersten voll mit Kindern, mit denen ich mich
nicht abgeben durfte. Es war die Behausung der Duckets, einer von Hanmers
erbärmlichsten Sippen. Wenn ich auf die Mauer stieg, die uns von ihnen trennte,
konnte ich in ihren Garten schauen. Unsere Seite hatte einen Rasen mit Rabatten
und Apfelbäumen und war verwildert und friedlich, ihre sah aus wie nach einem
Bombenangriff: eine zerpflügte, matschige Fläche mit zerbrochenem Geschirr und
verbogenen Teilen alter Fahrradrahmen und Kinderwagen zwischen
Johannisbeersträuchern und wucherndem Unkraut. Die Duckets verkörperten das,
was meine Großmutter mit »dreckig« meinte: Sie waren unverhohlen arm (der Vater
war Knecht), sie vermehrten sich wie die Karnickel, und sie quollen in ihren
zerlumpten, weitervererbten Sachen ungeniert aus ihrem Haus.
    Das Pfarrhaus war ein
heimlicher Slum, bei den Duckets dagegen standen die Türen immer offen, und man
sah Mrs. Ducket mit Lockenwicklern auf dem Kopf und nackten Beinen in
Pantoffeln herumlaufen oder — noch skandalöser — mit einer Tasse Tee und einer
Zigarette dasitzen. Sie hatten keine Geheimnisse. Aus ihrem Küchenabfluß (uns
gegenüber) sickerte träger Schleim aus Seifenwasser und Teeblättern in die
Gosse der Dorfstraße. Die Duckets hatten kläffende Hunde und dürre Katzen und
steckten sich Katzenjunge und Frettchen in die Taschen. Sie gingen nicht zur
Kirche; nur gelegentlich wurde das eine oder andere Kind feingemacht und in die
Sonntagsschule geschickt. Ich durfte nicht auf den Platz hinaus, sie dagegen
wurden förmlich aus dem Haus getrieben, hinten und vorn, bei jedem Wetter, in
der Hand einen Brotkanten mit Pflaumenmus. Grandma zufolge langten sie über die
Mauer und pflückten unsere Apfel. Und (der Gipfel des Grauens) sie hatten
Kopfläuse.
    Der Duckets wegen fühlte ich
mich einsam. Selbst ihre Läuse waren eher faszinierend als furchteinflößend.
Einige Male gelang es mir, mit Edna, die ungefähr in meinem Alter war, durch
den Spalt in unserer Gartentür zu »spielen«. Sie kauerte auf dem Platz, ich
hockte im Küchengarten des Pfarrhauses und zwängte meine Puppen eine nach der
anderen durch den Spalt, um sie ihr zu zeigen, und Edna zwängte sie wieder
zurück. Normalerweise aber kletterte ich auf die Mauer, setzte mich rittlings
darauf und beobachtete die Duckets im Plural, wenn ich mir selbst überlassen
war. Was jedoch nicht oft vorkam. Grandpa und ich müssen fast täglich in der
Kirche herumgewerkelt haben, und die hallende Weite, die Buntglasfenster und
der Geruch nach Messingpolitur, Chrysanthemen, feuchten Eichenbänken und den
Stockflecken der Chorhemden waren ein

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