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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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hatte noch mehr Spaß an solchen
Spielen als ich, konnte sich aber nur selten dazu aufraffen. Und so kam ich mit
etwas über vier in die Schule, und das ganze Dorf schüttelte sich einmal durch
und ordnete sich neu. Ich bekam Läuse und führte von nun an ein Doppelleben:
Ich war eine der vielen — die Schule in Hanmer hatte 1947 über hundert Schüler
zwischen vier und vierzehn — und zugleich das einzige Pfarrerskind. Wer mit mir
spielt, so erzählte ich herum, der darf auf dem Friedhof spielen.

Die Schule
     
     
     
     
    Bin ich vielleicht, wie ich
manchmal vermute, in einer ganz anderen Zeit aufgewachsen, einer Enklave des
neunzehnten Jahrhunderts? Denn nun drängen die Erinnerungen heran, Szenen aus
einem übervölkerten ländlichen Slum.
    Als erstes kam das Essensgeld,
dann das Klassenbuch. Dann hängte Miss Myra eine rissige Wachstuchrolle mit dem
Vaterunser in großen verschnörkelten Lettern auf, und wenn sie das Zeichen gab,
murmelten wir das Gebet herunter. Bei der Schuld gerieten wir aus dem Tritt,
fanden aber wieder zusammen und gelangten schließlich unisono zum »in Ewigkeit.
Amen«. Als nächstes mußten wir den Text mit Kreide auf schartige
Schieferplatten schreiben. Wer fertig war, fing einfach wieder von vorn an.
Hatte man einen Fehler gemacht, spuckte man auf die Platte und wischte ihn mit
dem Finger aus, so daß sich die Buchstaben früher oder später in einem grauen
Nebel verloren. Nicht viele Erstkläßler lernten nach dieser Methode lesen,
schreiben oder rechnen, aber das war nicht weiter schlimm, denn in der Church
of England School von Hanmer ging es vor allem darum, den Schülern Gehorsam und
Auswendiglernen beizubringen. Schon bald konnte man das Vaterunser und das
Einmaleins selbstbewußt herunterleiern, mit der rituellen Betonung an den
richtigen Stellen: »Und zwölf mal zwölf ist hundert vier undvierzig. A men.«

    Nach einigen Jahren bei Miss
Myra kam man zu ihrer Schwester, Miss Daisy, und danach in die größte Klasse,
die des Rektors Mr. Palmer. Er war ein Schreckgespenst, eine abwesende
Gottheit. Missetäter aus den unteren Klassen wurden zu ihm und seinem Stock
geschickt, und es war bekannt, daß sie sich unterwegs in die Hose machten. Auch
seine eigene Klasse fürchtete ihn. Er pflegte sie von seiner Wohnung neben der
Schule aus unsichtbar zu überwachen, und wenn der Lärm einen so
ohrenbetäubenden Pegel erreichte, daß er sich gestört fühlte, kam er herüber
und verhängte summarische Strafen.
    Je höher die Klasse war, in die
man ging, desto weniger Schulwissen wurde vermittelt und desto weniger wurde
auch erwartet, daß man etwas lernte. Die älteren Mädchen hatten Stricken, Nähen
und Weben, und im Winter saßen sie in der Pause plaudernd am Ofen, die Beine in
der Hitze mit roten Adern marmoriert. Die großen Jungen hatten Werkunterricht
und wurden außerdem dazu eingeteilt, die Asche aus dem Ofen zu schaufeln, die
Kohleneimer zu füllen und den Garten umzugraben. Keiner der wohlhabenderen
Bauern schickte seine Kinder auf die Schule von Hanmer. Sie war dazu da,
Dienstboten und Knechte hervorzubringen, und nach wie vor wurde Analphabetismus
von vornherein einkalkuliert und gehörte schon fast zum Lehrplan.
    Nicht lange nach meiner
Einschulung wurde dieses altehrwürdige konfessionelle System in seinen
Grundfesten erschüttert, als einige der älteren Kinder über die Grenze auf eine
Sekundarschule in Shropshire überwechselten. Das dünnte die Reihen aus und
dämpfte den Radau in Mr. Palmers Klasse, auch wenn ihm noch genug
widerspenstige, hoch aufgeschossene Kinder erhalten blieben, bis sie vierzehn
waren und kraft Gesetzes abgehen durften. Die Ausleseprüfling abzulegen war
etwas noch nie Dagewesenes und im übrigen auch schwieriger, als es hätte sein
müssen, denn an den höheren Schulen der Nachbargrafschaften gab es ohnehin
Quoten für Kinder von dort, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagten, nämlich
aus dem Bezirk Maelor. Als ich soweit war, mogelte Mr. Palmer mich gnädig
durch: Wenn er bei seinen Aufsichtsrunden an meinem Pult vorbeigeschlendert
kam, fuhr er mit seinem dicken Finger meine Rechenaufgaben entlang, zeigte
vielsagend auf die eine oder andere und kreuzte im Weitergehen zwei Finger
hinter dem Rücken. Dann rechnete ich die Aufgaben noch einmal durch.
    Vielleicht erregte die
Durchfallquote allmählich Verdacht. Die Welt veränderte sich, das Bildungswesen
veränderte sich, und der Gedanke, daß die Schule den von vornherein
festgelegten Platz

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