Die Anfänge meiner Welt
Tod auf vertrautem Fuß. Vor seiner Krankheit
hatte er sogar wie der Sensenmann ausgesehen, wenn er in seiner Soutane im
Garten stand und den buckligen Rasen mähte. Einige der Buckel waren
eingewachsene Bowlskugeln, rissig, mit Wasser vollgesogen, Spielzeug von vor
dem Krieg.
Alles um uns herum verrottete —
ein trügerisch friedliches Bild. Grandpa und Grandma waren so sehr verheiratet,
daß sie einander durch ihre bloße Existenz beleidigten, und die Vorstellung,
ihr die Genugtuung zu verschaffen und als erster abzutreten, muß ihm verhaßt
gewesen sein. Grandma ihrerseits hatte große Angst vor dem Tod, und so konnte
er ihr eins auswischen, indem er ihn als eine Erlösung pries. Er hatte diese
Tour jahrelang geübt. Manchmal wurden die Toten der Gemeinde für die Nacht vor
der Beerdigung in der Kirche aufgebahrt, und er wachte bei ihnen. Er finde ihre
Gesellschaft unterhaltsamer als die seiner Frau, verkündete er. Oft machte er —
oder auch Onkel Bill — grausige Anspielungen auf das Knarren und Gurgeln, das
Leichen von sich geben. Onkel Bill, der jüngere Bruder meiner Mutter — er war
aus Protest gegen Grandpa zum Kommunismus konvertiert — , war militanter
Materialist, doch unter dem Deckmantel seines sozialistischen Realismus
schwelgte er oft in solch makabren Einzelheiten.
Als sie nach Hanmer kamen,
hatte es nicht so ausgesehen, als würde sie ihn überleben. Wenn ich an einige
der Tagebucheinträge zurückdenke, könnte ich nicht beschwören, daß er nicht
geradezu hoffte, Gott möge sie zu sich nehmen. Er gab Ihm sogar einen
entsprechenden Wink: »Was wird die Zukunft bringen? Das weiß Gott allein, denn
alles war Sein Ratschluß. So lege ich denn die Zukunft in Gottes Hand.«
Angesichts dieser Worte und des Eids, den er MB auf die Bibel schwor, könnte
man glauben, er hätte einen Notplan für den traurigen Fall von Grandmas Ableben
gehabt. Die Beziehung zu MB verlor zwar bald ihren Reiz, aber das mochte —
zumindest teilweise — wiederum daran liegen, daß ihm der Herr den Gefallen
nicht tat und ihm den Fluchtweg in ein Leben als ehrbarer Witwer versperrte. MB
hatte gewissermaßen nicht mehr den Segen der Vorsehung und war für eine bloße
Liebelei in jeder Hinsicht zu gewichtig.
Wahrscheinlich war es der Umzug
nach Hanmer, der Hilda davor bewahrte, an Bronchitis oder Asthma zu sterben.
Dem Tagebuch zufolge war sie jetzt in wesentlich besserer Verfassung als im
rußigen, feuchten, industrialisierten Südwales. Die Folge war, daß sich das
häusliche Machtgleichgewicht zu ihren Gunsten verschob. Sobald sich die
Tagebücher in ihrem Besitz befanden, genehmigte sie sich eine geheime
Do-it-yourself-Scheidung inklusive Unterhalt. Grandpa mußte für den Haushalt
und alle sonstigen Kosten der Familie aufkommen und ihr außerdem jedes Quartal
eine Extrasumme zahlen, die sie auf die Seite legte. Angesichts seiner eigenen
Prioritäten (Tabak, Alkohol, Frauen, einfach nur aus dem Haus kommen) war es
kein Wunder, daß die Lebensmittelrechnungen nicht bezahlt wurden und unsere
Unterwäsche zerschlissen war. Die Anschreibkrisen führten zu neuen Krächen, und
nach und nach brodelte die Wut wie ein Vulkan unter der Oberfläche.
»Gottes Wege sind
unerforschlich« — in der Tat (Lied Nummer 373 im Gesangbuch, zu singen »in
schwerer Zeit«). Grandpa muß zu dem Schluß gekommen sein, daß der Herr ein
Spaßvogel sei. Er fiel zwar nicht vom Glauben ab, aber sein Glaube nahm ein
etwas kränkliches Aussehen an, nikotingelb und von Bitterkeit gezeichnet. Lied
373 empfiehlt uns, guten Mutes zu sein, weil sich hinter Gottes Stirnrunzeln
oft ein Lächeln verbirgt, und leitet daraus die Moral ab, daß man nicht glauben
soll, man könne Seine Pläne ergründen. Grandpas Heimsuchungen waren subtiler
und folgten dem umgekehrten Prinzip — das Lächeln, hinter dem sich ein
Stirnrunzeln verbirgt — , aber sie liefen auf dasselbe hinaus. Man hatte ihn
abgeschoben, er war jetzt von Berufs wegen enttäuscht und konnte aus tiefster
Überzeugung bestätigen, daß die Versprechen der Welt nichts galten.
Seine Predigten waren
theatralisch, seine Ausdrucksweise war wohlüberlegt und dennoch gewagt, so als
hätte er nichts zu verlieren. Seine Vergangenheit folgte ihm wie ein langer,
faszinierender Schatten. Weltlicher Mißerfolg war auf der Kanzel ein Vorzug.
Dort verlieh ihm sein Enttäuschtsein spirituelle Größe. Ich sah es damals
natürlich nicht mit den Augen der Gemeinde: Ich saß im Chorgestühl und war ein
wenig
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