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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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schlechte Angewohnheit zu: den Suff.
Schon 1934 macht er dem Tagebuch zufolge das Fox and Goose zu seinem zweiten
Zuhause und erledigt dort seine Korrespondenz. Er fängt wieder an,
Zigarettenspitzen zu schnitzen, und befestigt die Radioantenne am höchsten Ast
des Apfelbaums. An einem tieferen Ast hing die Schaukel, auf der ich die Tage
verträumte.
    Viel später, nach seinem Tod,
lautete der schlimmste Vorwurf meiner Mutter an meine Adresse: »Du bist genau
wie dein Großvater.« Ich war in der Pubertät, und eigentlich meinte sie damit
(brachte es aber nicht über die Lippen), daß ich mannstoll sei, sexbesessen.
Ich nahm es als ein großes Kompliment. Das war natürlich nur Wasser auf ihre
Mühlen, denn Grandpas Stolz auf seine Abscheulichkeit war ein hervorstechender
Charakterzug von ihm. Weshalb hätte er die Tagebücher sonst wohl geschrieben? Für
wen schreibt er? Die Antwort lautet: für sich selbst. Er rechtfertigt sich.
Nicht nur mit Ausreden, sondern auch damit, daß er den Dingen Realität
verleiht. Schreibt man sie nieder, erlöst man das Leben aus den Niederungen
der Belanglosigkeit, die (wie er zweifellos glaubte) schlimmer ist als die
Sünde.
    Seine Geheimnisse gleichen
denen einer Bühnenfigur, die einen Monolog spricht und »nicht weiß«, daß sie
ein Publikum hat. Grandpa schrieb in gewisser Weise immer für Grandma, so
unangenehme Folgen es auch haben konnte, daß sie die »Beweise« schwarz auf weiß
in Händen hielt. Und er schrieb für mich, streckte seine dürre Hand über die
Jahre aus. Am 27. Oktober 1934 beispielsweise heißt es plötzlich: »Heute hat
mich wieder die alte Lust zu schreiben gepackt. Ob ich’s versuche? Ich verlerne
es ganz, wenn soviel anderes zu tun ist, und viel Anregung habe ich hier auch
nicht gerade.« Und am 8. Dezember: »Ich fasse noch einmal den Entschluß, mich
auf Journalismus und Literatur zu verlegen. Ich glaube, jetzt könnte ich es zu
etwas bringen. Marjories Spott [seine Unterstreichung] bestärkt mich nur
darin.« Marjorie muß hohngelacht haben, wenn er erklärte, er wolle fortgehen
und ein neues Leben anfangen. Und es wurde auch nichts aus dieser
freiberuflichen Existenz. Aber hier stehen nun seine Worte, zu guter Letzt doch
noch gedruckt.
     
    Ein paar Geheimnisse hat er bis
heute bewahrt. Als ich mich durch das dichtgedrängte Gekrakel zum Ende des
Jahres 1934 vorarbeitete und er wieder mit seiner Pfeife herumzubasteln und
Radio zu hören begann, machten mich eine vage Ahnung und eine noch vagere
Erinnerung stutzig. Was da stand, klang wie ganz zu Anfang — Achtung,
Langeweile und dazu (immerhin) Theateraufführungen und Kräche, die es in seinen
letzten Monaten in Südwales nicht gegeben hatte. Und doch... Ich nahm mir noch
einmal das Tagebuch von 1933 vor, und da — im September, zu Beginn der Affäre
mit der Gemeindeschwester fand ich den Ursprung meiner beunruhigenden
Erinnerung. Der Eintrag war kaum leserlich, und ich hatte ihn deshalb nicht
abgeschrieben, aber bei genauer Überprüfung lautete er: »MB und ich um 14.00
los. Fahren bis Bangor... Wieder das ewige Dreieck.« Wieder? Ich rätsele
an dem Wort herum und mag es nicht glauben. Aber da steht es. Also hatte er es
schon einmal getan? Saß er deshalb in St. Cynon fest? Höchstwahrscheinlich,
meinte mein Vater, als ich ihn danach fragte. Meine Mutter hatte erzählt, man
habe in Südwales von einer anderen Frau gemunkelt, vielleicht sogar von einem
Kind, aber mehr hat sie nie sagen wollen. Sie wollte es auch gar nicht
wissen... Dem alten Teufel war alles zuzutrauen.

Der Tod
     
     
     
     
    Er zerrieb dürre Blätter
zwischen den Handflächen und mischte sie mit Tabak, und wenn er seine Pfeife
anzündete, roch es wie ein Gartenfeuer im Herbst. Es war nach seinem ersten
Schlaganfall — ich war damals sieben oder acht — , und er hätte das Rauchen
einschränken müssen, doch statt dessen streckte er sein kärgliches Quantum und
nährte sein Laster so ziemlich mit allem, was brannte. Am Stock konnte er noch
laufen, aber seine ganze linke Seite war steif, und sein zynischer
Gesichtsausdruck hatte sich ohne sein Zutun noch verstärkt. Er sprach auch ein
wenig undeutlich. Er wußte, daß er nicht mehr lange zu leben hatte, und
vielleicht kümmerte ihn das wirklich so wenig, wie er behauptete — nicht weil
er so fromm und gottergeben gewesen wäre, sondern weil er wütend war. »Zum
Teufel damit!« sagte er trotzig. Er war noch keine Sechzig, tat aber seit
langem so, als stünde er mit dem

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