Die Anfänge meiner Welt
langsam-stummem Gang
Mit dem alten Gaul, der
stolpernd nickt
Halb schläft die Furche lang.
Nach gängiger Lesart besagt das
Gedicht, daß das Leben auf dem Lande ungeachtet scheinbar »historischer«
Katastrophen wie etwa eines Weltkrieges weitergeht. Aber es entbehrt nicht der
Ironie, denn diese unbedeutende, anonyme Existenz läßt dem einzelnen nicht mehr
Individualität als der Horror der Schützengräben. Der Ort selbst könnte ein
ehemaliges Schlachtfeld sein. Diese stillen Landschaften sind Friedhöfe. »Ein
Teil von dieser Eibe war ein Mann / Den einstens noch gekannt mein Ahn«,
schreibt Hardy in einer heitereren Variation des Themas.
Hanmer lag natürlich nicht in
seinem Revier, aber man konnte sich den Bezirk Maelor als ein Wessex en
miniature vorstellen, weniger englisch, weniger fruchtbar und ohne einen
Dichter, der es hätte beschreiben können. Der Dialekt holte eine Menge aus der
Silbe »Ur« heraus, auf die Hardy in seinem Roman Tess von den D’Urbervilles:
Eine reine Frau eingeht. Sie steht für die gutturale Aussprache des »R«,
wie man sie in ländlichen Gegenden hört. In der Hanmer-Grammatik war »Ur« oder
»Er« das Allzweckpronomen für Männer, Frauen, Kinder, Vieh und Traktoren. Es
hatte etwas Gleichmacherisches, als bezeichnete es ausschließlich Gegenstände;
man konnte es auch für einen Baum oder einen Stein gebrauchen. In meiner
Erinnerung geht es stets mit einer Verneinung einher — »dunna, conna, wunna«.
Man tritt gegen ein Gatter, das nur noch halb in den Angeln hängt, und sagt
ohne Überraschung: »Er wunna open.« Alles hatte seine störrische, passive
Widerstandskraft.
Zur Erntezeit herrschte im Dorf
Hochstimmung. Die Heumahd im Juni war oft ein atemloser Wettlauf mit der Zeit
und dem Wetter, man half einander nach der Arbeit bis tief in die hellen Abende
hinein das Heu aufschobern und abdecken oder locker in einer Scheune
aufschichten. Die Getreideernte im Spätsommer aber wurde in der Gemeinde
festlich begangen. Wie Grandpa in seinem Tagebuch vermerkte, strömten die Leute
zum Erntedankfest mit ihren Garben und ihrem Obst und Gemüse in hellen Scharen
in die Kirche, was für ihn nur ein Beweis ihres Heidentums war. Nicht jeder
baute Getreide an — auch Mr. Watson nicht — , aber es war für alle von
Bedeutung und bot Gelegenheit zu ausgelassener sportlicher Betätigung im
Freien.
So ließ man beispielsweise auf
jedem Feld in der Mitte ein Fleckchen Getreide stehen, und wenn der Mähdrescher
sein ratterndes Werk vollendet hatte, liefen die Knechte mit Kind und Kegel
johlend und mit Stöcken und Mistgabeln bewaffnet auf diese Getreideinsel zu und
metzelten die Unmengen Mäuse, Wühlmäuse und Kaninchen nieder, die sich in ihrer
Panik dorthin geflüchtet hatten. Wer ein Kaninchen tötete, durfte es mit nach
Hause nehmen. Ich schaffte es nie, und ich hätte meine Beute ohnehin nicht
mitnehmen können, denn ein noch warmes, blutiges Kaninchen wäre das greifbare
Symbol aller Essensängste meiner Mutter gewesen. Bald aß auch sonst niemand
mehr Kaninchen, denn gegen Ende 1953 erreichte die Myxomatose Hanmer.
Wochenlang hing über der Gegend ein süßlicher, fauliger, unvergeßlich
ekelerregender Verwesungsgeruch. Überall auf Straßen und Wegen sah man qualvoll
verendende Kaninchen dahintaumeln, blind, die geschwollenen Köpfe von Fliegen
umschwärmt. Man erwies ihnen eine Wohltat, wenn man sie schnell tötete. Die
grausamen Erntespiele waren eine gute Übung gewesen, denn jetzt war es nützlich
zu wissen, wie man ein Kaninchen erschlägt.
Die Leute im Dorf ahnten nicht
(oder redeten nicht darüber), daß die Myxomatose absichtlich eingeschleppt
worden war, um die Kaninchen auszurotten, die auf den Feldern Millionenschäden
anrichteten. Es war eine drastische Maßnahme biologischer Kriegführung, die
indessen dem allgemeinen Trend zur Ertragssteigerung folgte — Zuchtprogramme,
intensive Anwendung von Pestiziden, Kunstdünger, Wachstumshormone — , die
Bauern wie Mr. Watson schließlich zum Aufgeben zwingen sollte. Auch die
Arbeitsmöglichkeiten für Mistgabelschwinger sollten sich dramatisch vermindern,
trotz Mr. Palmers Glauben an die unveränderliche Ordnung der Gesellschaft.
Viele in Hanmer hatten Anlaß, sich mit den Kaninchen zu identifizieren. Selbst
Sir Edward Hanmer, bekanntermaßen ein eingefleischter Traditionalist, war
eigennützig genug, um zu sehen, daß landwirtschaftliche Hilfskräfte immer weniger
gebraucht wurden. Seine Pächter wußten, daß
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