Die Anfänge meiner Welt
fürchtete und umging.
Das Uhrenproblem verschaffte
mir noch einen Hauch von Genugtuung. Daß es mir aber nicht gelang, Radfahren zu
lernen, war einfach nur beschämend. Offensichtlich war etwas von der
Fahrradphobie meiner Mutter auf mich übergegangen. Sie hatte mich, als ich
sechs oder sieben war, immer davor gewarnt, vor dem Pfarrhaus die Räder anderer
Kinder auszuprobieren. Auf dem Platz selbst fuhren zwar keine Autos, aber sie
war überzeugt, ich würde aus schierem Eigensinn direkt auf die Straße radeln
und überfahren werden. Doch jetzt war ich zehn, es war meinen Eltern nur noch
peinlich, daß ich ein solcher Angsthase war, und mein Vater übernahm es, mir
das Radfahren beizubringen — was mein fehlendes Selbstvertrauen in eine
ausgewachsene Blockade verwandelte. Er ging systematisch und betont geduldig
vor, wurde aber sehr schnell ärgerlich. Ich schämte mich vor ihm und stellte
mich denkbar ungeschickt an, meine Arme und Beine waren steif und zugleich wie
Gummi, meine Hände schweißnaß, und schon bei der geringsten Berührung stellte
sich das Vorderrad quer und das ganze Fahrrad fiel um. Nach diesen Übungen war
ich in Tränen aufgelöst, voller Kratzer und blauer Flecke und keinen Meter
gefahren, und mein Vater meinte angewidert, ich sei wohl von der
Tolpatschtruppe — keine Koordinationsfähigkeit, kein Gleichgewichtssinn.
Also auch keine Uhr und kein Fahrrad,
nur die Aussicht auf die Whitchurch Girls’ High School, in die auch meine
Mutter gegangen war — wieder etwas Unbekanntes, das mir angst machte. Weiterkommen
im Leben — es schien unmöglich. Es war, als befände ich mich in einem der
Bücher, die ich verschlang. Man wurde von der Handlung mitgerissen, wußte aber
nicht, wie es weitergehen würde, wollte man nicht ans Ende blättern. Bevor ich
das Landleben hinter mir ließ, begab ich mich noch tiefer hinein. Ich fand ein
Versteck.
Unserer Siedlung direkt gegenüber,
aber mit der Rückseite zur Straße, gleichgültig von uns abgewandt, lag der
Watson-Hof. Das erste, was man davon sah, war der Milchbock, ein Bretterpodest,
an dem der Molkereiwagen jeden Morgen die vollen silbernen Milchkannen abholte
und die leeren zurückließ. Es war der Lieblingsplatz eines anderen
Arowry-Einzelgängers, des bleichen zwanzigjährigen Sohnes unserer ruhigsten
Nachbarn; der Junge würde irgendwann an seiner Knochentuberkulose sterben und
war jetzt schon zu schwach, um weit zu gehen. Manchmal saß ich schweigend neben
ihm und baumelte mit den Beinen, doch immer öfter wagte ich mich durch die
zerfurchte Einfahrt in den Hof der Watsons vor. Es war ein matschiges Geviert,
nur teilweise gepflastert; das Wohnhaus nahm eine Seite ein, den Rest säumten
Kuhställe, diverse Schuppen und Anbauten, die Scheune und hinten in der Ecke
der Misthaufen. Eine geschäftige Hühnerschar war dort zu Hause, mehrere
halbwilde Katzen, ein alter Collie namens Trigger, der schon bessere Zeiten
gesehen hatte, und die majestätischen Kühe, die zum Melken von der Weide kamen.
Sie hatten Namen wie Mabel und Rose und hätten den Weg auch im Schlaf gefunden,
obwohl ihre Ställe über den ganzen Hof verteilt lagen, weil kein einziger groß
genug für alle zwölf gewesen wäre.
Ich lungerte dort herum und
freundete mich mit Trigger an, der nicht viele Freunde hatte, weil er stank und
eine eitrige Wunde im Gesicht hatte, von einem Rattenbiß, der nicht heilen
wollte. Die Hühner der Watsons, eher wildlebend als freilaufend, legten ihre Eier
gewieft zwischen Heuballen oder hinter alte Wagenräder im Traktorschuppen. Bald
sammelte ich die Eier in einen kaputten Eimer, fegte hinter Mabel und ihrem
Hofstaat Kuhfladen und Stroh auf und zerkleinerte im Winter Futterrüben für
sie, in einem gußeisernen Fleischwolf von gewaltigen Ausmaßen, dessen Kurbel
ich mit beiden Händen drehen mußte. Es war eine stumme Arbeit, eine Arbeit ohne
Lohn, abgesehen von dem Gefühl, etwas Handfestes zu tun. Mr. Watson begrüßte
mich immer mit einem scherzhaften, aufmunternden Zuruf, als wäre ich selbst ein
streunendes Tier, und ich brauchte ihm nicht zu antworten; ein nervöses Kichern
genügte. Ich kreuzte auf, und ich durfte bleiben — allerdings nur draußen. Daß
ich in Mrs. Watsons Reich eindrang, kam nicht in Frage, aber sie brachte mir
heißen, süßen Tee an die Hintertür, wo ihre Lieblinge, die Perlhühner,
herumpickten, das gesprenkelte Gefieder gegen die Kälte aufgeplustert.
Das Wunderbare am Watson-Hof
war, daß ich dort in eine
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