Die Anfänge meiner Welt
und
nörgelte ich und bekam Wutanfälle, wenn meine Mathematikaufgaben nicht
aufgingen. Ich schrie meine Mutter an; vielleicht habe ich sie sogar
geschlagen. Wenn dann mein Vater nach Hause kam, verpetzte sie mich.
Er kam selbst oft spät, nach
Kälte und Kuhmist riechend, und brüllte noch eine lange Liste unerledigter
Aufträge für Onkel Albert ins Telefon, bevor er in die Küche ging und sich am
Spülbecken die Hände wusch. Meine Mutter folgte ihm, und während sie seinen
Trink-oder-laß-es-bleiben-Tee aufwärmte, zählte sie ihm weinend meine
Missetaten auf. Krank vor Sorge sei sie gewesen, sie werde einfach nicht fertig
mit mir, sie könne Streit nicht ertragen. Letzteres wirkte immer. Streit
war gleichbedeutend mit dem Pfarrhaus-Elend von früher, und er war es sich
schuldig, sie von diesem Übel zu erlösen. Was ich zu meiner Entschuldigung
vorzubringen hätte? Ich tue so, als sei ich in meine Hausaufgaben vertieft,
aber er verlangt eine direkte Antwort auf eine direkte Frage, und wenn
ich lüge und ihm nicht in die Augen sehe, verliert er die Geduld. Von da an
folgt alles einem festen Schema, und es gibt kein Zurück mehr. Ich zittere,
schniefe und schaue schuldbewußt drein, er brüllt, daß er mir eine Lektion
erteilen wird, die ich so schnell nicht vergesse — auch das ist Standard,
die Schule ist nicht das wirkliche Leben — , und er legt mich übers Knie
und versohlt mich, bis ich sage, Entschuldigung, ich tu’s nicht wieder.
Jetzt ringt meine Mutter die
Hände und fleht ihn an, nicht so grob zu sein, und ich schreie und winde mich
vor Scham und Empörung. Das Ganze spielt sich in unserem offenen Wohnzimmer ab,
und Grandma und Clive schauen zu, Clive schadenfroh, aber ängstlich, Grandma
zitternd vor freudiger Erregung, denn sie liebt Kräche und genießt es, wenn
Eric sein wahres Hanmer-Gesicht zeigt. Ich verspreche, es nie wieder zu tun.
Aber ich werde es wieder tun. Ich trotte die Treppe hinauf, labe meine
verquollenen Augen mit den Seiten eines Buches und nehme mir fest vor, künftig
besser zu lügen. Ich lese und lese, während Clive auf der anderen Seite des
Zimmers im Schlaf zuckt und meine Eltern im Bett leise miteinander reden. Nach
Mitternacht kommt Grandma herein und zischt mir zu, daß die Männer brutale
Kerle seien. Doch nicht sie, sondern meine Mutter hat mir die Lektion erteilt,
die mich von der Töchtertradition trennt. Ich werde nicht so sein wie sie, es
gibt zu viele Kinder in unserem Haus.
In einer dieser rotäugigen
Nächte, als ich in Lorna Doone vertieft war, den Liebesroman, von dem
ich meinen Namen habe, sah ich plötzlich nicht mehr mich selbst, sondern meine
Mutter in dem weltentrückten, königlichen Mädchen, das im Doone Glen so fehl am
Platz ist, und meinen Vater in der Figur des Ich-Erzählers, des wackeren
Bauernsohnes John Ridd, dem Lorna später ihr Herz schenkt. Es ist ein bewegender
Roman: John befreit Lorna aus ihrem gesetzlosen Clan (wir befinden uns im
wilden West Country zur Zeit des Monmouth-Aufstandes und des Blutgerichts von
Richter Jeffreys, die Doones sind Raubritter) und findet heraus, daß sie gar
keine Doone, aber dennoch eine Lady ist, die weit über ihm steht: »Sie erhob
sich mit stolzer Miene... und wandte sich ab, als wollte sie eine
herrschaftliche Kutsche besteigen oder einen Palast betreten; ich war derart
erstaunt und bekümmert in meiner rauhen Einfachheit...« Aber der Autor will uns
nur irreführen. Bei Hofe in London ist man geblendet von Lorna, die jedoch John
die Treue hält. Er wird in Anerkennung seiner Verdienste für die Krone zum
Ritter geschlagen, und nach einer großartigen Szene, in der ein wütender Carver
Doone während Lornas Trauung in der Kirche auf sie schießt (wenn er sie nicht
haben kann, soll auch kein anderer sie haben), besiegt John die Mächte der
Finsternis im Zweikampf, und unser Paar richtet sich zum Happy-End auf dem
Plover’s-Barrow-Hof ein.
Heute weiß ich, weshalb mir die
Ähnlichkeit meiner Mutter mit Lorna Doone so ins Auge sprang. Weil ihr
viktorianischer Schöpfer R. D. Blackmore, ein Oxford-Absolvent, der zuvor nur
»Texte des klassischen Altertums übersetzt hatte, ohne daß man auf ihn aufmerksam
geworden wäre« (wie einer seiner Biographen schreibt) — weil also Blackmore die
schwierige, aber verkaufsfördernde Strategie verfolgt, seine Heldin unter ihrem
Stand heiraten zu lassen, ohne daß sie in den Verdacht sinnlicher Begierde nach
dem aufrechten John (einem Hünen und Meister des
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