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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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Polizisten
zu spielen ist nicht gerade nach seinem Geschmack, doch der Dienst an Recht und
Ordnung schließt auch das mit ein. Aber er ist kein blinder Befehlsempfänger
wie der hündisch gehorsame, hackenknallende Feind.
    Er dachte oft über diesen
Unterschied nach, denn die Deutschen, soweit er sie tatsächlich zu Gesicht
bekam, waren geradezu beunruhigend leicht zu erkennen — stämmig, blond,
rotgesichtig, blauäugig und froh, noch am Leben zu sein. Als Angehöriger der
Besatzungstruppen hatte er unter anderem darüber zu wachen, daß alle
erwachsenen Deutschen ins Kino getrieben wurden, wo man ihnen Filme über die
Konzentrationslager vorführte. Es fiel ihm jedoch selbst schwer zu glauben, daß
diese Filme die Wirklichkeit Wiedergaben und daß seine »Kollegen« bei der
Wehrmacht über die Greuel Bescheid gewußt hatten. Wie so viele andere in der
britischen Armee hatte er die Horrorberichte über die Ausrottung der Juden für
Lügenpropaganda der Alliierten gehalten, bis er Bergen-Belsen mit eigenen Augen
sah. Allerdings, so meinte er, gehöre zur Mentalität der Deutschen nun einmal
ein Hang zu abstrakten und technischen Lösungen, wohingegen die Briten Amateure
im besten Sinne seien, großzügig und freiheitsliebend... So führten ihn seine
Geschichten wieder in die Gegenwart zurück, er stand auf, streckte sich, zog
seinen Overall an und ging mit frischem Vertrauen in seinen hausgemachten
Realismus wieder an die Arbeit.
    Das Familienleben trieb mich
mit Macht zu Büchern und Hausaufgaben zurück und gab meinen Streifzügen im
Gelände etwas Guerillahaftes. Als ich zwölf wurde, hörte mein Vater auf, mich
zu schlagen, nicht etwa, weil ich zu Kreuze gekrochen wäre, und schon gar
nicht, weil ich jetzt besser log, sondern um der Schicklichkeit willen. Meine
sprossenden Brüste und sonstigen Kurven verliehen der Prozedur allmählich einen
kompromittierenden sexuellen Beigeschmack. Prügel waren in
Fünfziger-Jahre-Filmen ein beliebtes Motiv, ein Paarungsritual à la Der
Widerspenstigen Zähmung. Besonders denkwürdig versohlte in Der Sieger John Wayne Maureen O’Hara, aber auch sonst wurden in Liebeskomödien,
Kostümfilmen und Western allenthalben erwachsene Frauen als eine Art Vorspiel
verdroschen. Kein Wunder, daß die Sache Dad peinlich wurde.
    Um die gleiche Zeit sah Onkel
Bill (der sozialistische Realist) mich einmal mit anzüglichem Grinsen an und
sagte, ich würde allmählich zur Brigitte Bardot des kleinen Mannes. Er
grapschte nach mir, ich stieß ihn in die Entengrütze am Rand von Hunts Weiher
(es war auf einer Wanderung) und trampte nach Hause. Aus dem Autoradio ertönte
ein Liebeslied, und ich dachte angewidert: Das ist es also — Onkel Bills geile
Pfoten. Und so verpetzte ich Bill... Nein, stimmt nicht. Ich liebte Geheimnisse
und hielt den Mund. Ich war kein Kind mehr, ich wurde erwachsen. Der lüsterne
Bill und mein tugendhafter Vater registrierten es jeder auf seine Weise, auch
wenn sie wenig Ahnung davon hatten, was in meinem Kopf vorging.

 
     
     
    12

Familienleben , zweiter Teil
     
     
     
     
    Jeden Moment würde ich jetzt
zum Teenager werden. Fast genau im Takt mit Bill Haley und den Comets schlug
meine Uhr dreizehn, und dieser angenehme Lärm hämmerte zu jeder Tages- und
Nachtzeit gebieterisch in meinem Kopf. Meine Eltern beklagten sich über meine
plötzliche blinde (und natürlich unmusikalische) Begeisterung für die Rockmusik
und machten sich darüber lustig, aber sie waren auch froh, daß ich mich
ausnahmsweise wie ein normales Mädchen benahm. Der Rock ‘n’ Roll sanktionierte
die Kluft zwischen den Generationen, die Teenager der Zeit nach 1955 waren eine
Gattung für sich, die ihrem eigenen Rhythmus folgte. Als Teenager war ich
außerdem in gewisser Weise unabhängiger: Ich war mir der Zwänge, unter denen
meine Eltern standen, nicht mehr so bewußt. Ihre fünfziger Jahre fanden
anderswo statt.
    Vorerst aber saß ich dort noch
fest, ich befand mich in einer Art Schwebezustand zwischen Kind und Teenager.
Verdrossen lungerte ich in ihrem Leben herum und schaute zu. Meine Mutter nahm
mich mit zu den Versammlungen des Women’s Institute, der Frauenvereinigung, im
Gemeindesaal, wo stattliche, frohgesinnte Damen (getreu der Hanmer-Tradition
hieß eine auch prompt Mrs. Large, eine andere Mrs. Cheers)
Wohltätigkeitstombolas und Tortenschmuckwettbewerbe veranstalteten oder höflich
den Gastrednerinnen lauschten, die Constance Sprys Ratschläge zum
Blumenarrangieren und zur

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