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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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verträumen.) Grandma
hatte aus ihrer Ehe herausgeholt, was sie nur konnte, um sich den gewünschten
Lebensstil leisten zu können. Sie hatte ein zweites Gelübde abgelegt, nämlich
Grandpa zu hassen, in guten wie in schlechten Tagen, sie hatte ein Einkommen
von ihm erpreßt, hätte ihn aber nicht einmal mit der Kneifzange angefaßt, wie
sie oft stolz erklärte. Meine Mutter dagegen liebte ihren Mann und sah sich
deshalb nach einer anderen Möglichkeit um, die Kleider von Mrs. Smith zu tragen
und sie auch zu bezahlen.
    So verfiel sie auf die Idee,
sich eine Arbeit zu suchen — um aus dem Haus zu kommen, wie sie, ohne Mrs.
Smith zu erwähnen, erklärte. Mein Vater hatte nichts einzuwenden, obwohl er
vielleicht vorhersah, daß nichts daraus werden würde — woran sich ermessen
läßt, wie stolz er darauf war, daß sie etwas Besseres, daß sie »anders« war.
Die öffentliche Meinung war strikt dagegen. Frauen wie sie, die weder der
Arbeiterklasse angehörten noch Akademikerinnen waren (von Ärztinnen und
Rechtsanwältinnen hatten wir zwar gehört, kannten aber keine), hatten zu Hause
zu bleiben oder, wenn ihnen die Decke auf den Kopf fiel, gute Werke zu tun.
Doch meine Mutter war nicht mehr fest genug in der Mittelschicht verankert, um
ehrenamtlich tätig zu sein, sie wollte das Geld. Und es gab Tätigkeiten, die
gerade noch standesgemäß waren, als Empfangsdame etwa oder als Sekretärin, die
nicht tippt. Solche Arbeitsplätze waren jedoch in Hanmer nicht zu finden. Sie
würde täglich nach Whitchurch müssen, und das bedeutete, daß sie Auto fahren
lernen mußte. Der erste Schritt dazu waren der Kauf von L-Schildern und
Fahrstunden bei meinem Vater.
    Doch nach jeder Stunde fiel das
Urteil entmutigender aus. Es zeigte sich, daß sie zu nervös war, um die Prüfung
zu bestehen, obgleich mein Vater sehr viel nachsichtiger mit ihr umging als mit
mir. Meine Mutter, so meinte er — und sie pflichtete ihm bei — , sei einfach zu
weltfremd. Und so entschwand die Angelegenheit ins Reich des Irrealen, ins
Repertoire ihrer Tagträume, und die Kleider von Mrs. Smith blieben wochen- und
monatelang im Schrank, ehe sie ans Tageslicht geschmuggelt wurden. Und wir
gingen weiter zu Mrs. Smith. Der ganze Plan einer Berufstätigkeit meiner Mutter
— besser gesagt, sein Scheitern — bestätigte im Grunde nur, daß meine Eltern in
verschiedenen Welten lebten, er draußen in der Realität, sie in Luftschlössern
und in den Frustrationen des Gemeindewohnhauses. Wie ihre Unfähigkeit zu kochen
und sauberzumachen, bewies es (auf geheimnisvolle Weise), daß sie für Höheres
bestimmt war, und das wiederum machte unter anderem ihren Charme als Frau aus.
    Dennoch sprach sie manchmal mit
Bitterkeit von Tante Binnie, der Schwester meines Vaters, die während des
Krieges, als es keine Fahrprüfungen gab, Auto fahren gelernt hatte, obwohl sie
genauso nervös war wie meine Mutter. Jeder wußte, daß Tante Binnie nur Strecken
fahren konnte, die sie in- und auswendig kannte; wie sie beim erstenmal
irgendwohin gelangt war, blieb ein Rätsel. Und einparken konnte sie nur, wenn
die Lücke so groß war wie ein Bauernhof. Aber sie hatte den Führerschein, und
meine Mutter meinte, sie hätte, wenn der Zeitpunkt günstiger gewesen wäre, in
Binnie-Manier ebenfalls im Auto zur Arbeit fahren können, in einem ebenso
schicken Kostüm.
    Doch es sollte nicht sein. Wie
hätte unser häusliches Leben ohne sie ausgesehen? Wer hätte Grandma die Krusten
abgeschnitten, wer hätte den Küchenboden notdürftig gewischt? Ich bestimmt
nicht. Aber irgendwie wären wir schon zurechtgekommen, noch ein bißchen mehr
Chaos wäre nicht weiter schlimm gewesen. Wir hätten uns eben von Schinken und
Biskuit ernährt und die Fischstäbchen in eigener Regie verkohlen lassen. Und
für die psychische Hygiene des Hauses wäre es ein Segen gewesen. Die
Schüchternheit und Konfliktscheu meiner Mutter brachten es mit sich, daß man
sich ihr erschreckend leicht widersetzen und sie schikanieren konnte, und das
taten wir auch, Grandma, mein Bruder Clive und ich. Da aber Grandma durch Alter
und Diabetes entschuldigt und Clive noch klein war, wurde ich zu ihrer größten
Peinigerin. Wenn ich nicht in der Schule oder auf dem Watson-Hof war, trieb ich
mich irgendwo herum, und sie wurde schier verrückt vor Sorge, und wenn ich
Clive mitnehmen mußte, kam er oft ziemlich angeschlagen zurück (einmal ließ ich
ihn den neuen Elektrozaun der Hunts anfassen). Im Haus schmollte, quengelte

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