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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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dankte Gott für das Lateinische. Nisi dominus ...
Unser Schulwahlspruch geht auf Psalm 127 zurück — »Wo der Herr nicht das Haus
bauet, so arbeiten umsonst, die daran bauen... Es ist umsonst, daß ihr frühe
aufstehet und hernach lange sitzet, und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen
Freunden gibt er es im Schlaf.« In meinen schlaflosen Nächten stellte ich diese
Lehre ketzerisch auf den Kopf. Wenn ich so gut in der Schule bin, dachte ich,
kann das nur bedeuten, daß die höheren Mächte insgeheim auf meiner Seite sind.

 
     
     
    11

Familienleben
     
     
     
     
    Meine Mutter verpetzte mich,
ich dagegen hatte etwas für Geheimnisse übrig und verpetzte sie nie, wenn ich
sie zu Mrs. Smith begleitete, die in Whitchurch ein verstecktes kleines
Kleidergeschäft: führte. Wir machten erst die »richtigen« Einkäufe (die
Lebensmittel-»Rationen« wurden ohnehin ins Haus geliefert), dann schlenderten
wir ans ruhige Ende der High Street, weg vom Trubel am Bull Ring, öffneten eine
Tür, wobei ein gedämpftes Klingeln ertönte, und betraten Mrs. Smith’ stickige
Höhle. Mrs. Smith war »exklusiv«. In ihrem Schaufenster waren zwar immer ein
paar Kleidungsstücke an arm-, bein- und kopflosen Schneiderpuppen ausgestellt —
ein Schneiderkostüm etwa und ein schicker Dreiviertelmantel — , aber sie hatten
keine Preisschilder und waren durch die orangefarbene Cellophanfolie an der
Scheibe kaum zu sehen. Mrs. Smith selbst stand drinnen Wache. Sie war füllig, korsettbewehrt,
überfreundlich und mit Puder und Rouge, nachgezogenen Brauen und rotgemaltem
Schmollmund matronenhaft geschminkt. Auf dem Kopf hatte sie eine
Beton-Dauerwelle, und auch sie trug am liebsten Schneiderkostüme und dazu
Modeschmuck und ein teures Parfüm. Ihr Laden lockte kaum Laufkundschaft an, und
wir begegneten dort auch so gut wie nie anderen Kundinnen, obwohl für den Fall,
daß man warten mußte, ein Stuhl in der Ecke stand.
    Ich wartete oft und lange, denn
die Verhandlungen zwischen meiner Mutter und Mrs. Smith waren kompliziert und
schlossen ein ausgedehntes Verführungsritual ein. Zu Hause blätterten wir vor
aller Augen die Versandhauskataloge durch. Die Kleider darin stellten ihre
Reize — und ihre Preise — freimütig zur Schau, und wir kauften sie auf Raten.
Sie kamen, man trug sie, und man trug sie ab. Bei Mrs. Smith dagegen war alles
viel intimer, »klassischer« und geheimnisvoller. Schon ihr Name klang falsch,
und irgendwie weckte sie Schwarzmarkt-Assoziationen, als sei sie früher einmal
in dubiose Geschäfte mit Kleiderbezugsmarken verwickelt gewesen. Was ihr
vornehmer Akzent und ihre gehauchten Worte jedoch in Wahrheit verschleiern
sollten, war der Umstand, daß sie größtenteils — vielleicht sogar
ausschließlich — Gebrauchtkleider verkaufte. Es waren elegante Sachen, kaum
getragen, nicht im entferntesten zu verwechseln mit Flohmarktware. Sie waren
über jeden Zweifel erhaben und kosteten nur einen Bruchteil (wenn auch einen
recht ansehnlichen Bruchteil) des ursprünglichen Preises. Wenn Mrs. Smith die
Stoffqualität oder den exquisiten Schnitt rühmte, sprach sie meine Mutter als
Opfer der Gesellschaft an, als Träumerin, als eine Frau, die ohne ein gutes
Kostüm oder ein wirklich schickes Kleid am Spülbecken in der Küche ihres
Gemeindewohnhauses zu versauern drohte.
    Meine Mutter probierte das
Stück in Mrs. Smith’ Hinterzimmer an und betrachtete sich verlegen, aber
wohlgefällig lächelnd in dem hohen Spiegel, während Mrs. Smith glättete,
tätschelte und murmelte. Früher oder später mußte meine Mutter nach dem Preis
fragen, und dann folgte ein Kopfschütteln und Seufzen. Doch Mrs. Smith
versicherte ihr mit affektiertem Lächeln, wie gut das Kleid zu ihrem Teint und
ihrer Figur passe, gegen eine klitzekleine Anzahlung könne sie es ihr
zurücklegen, nächste Woche könne sie es ja noch einmal anprobieren... Oft
gingen wir mit leeren Händen wieder weg, aber ein Geschäft war trotzdem
abgewickelt worden, so daß die Schulden meiner Mutter bei Mrs. Smith immer
weiter anwuchsen. Das Neue blieb noch einige Wochen in Mrs. Smith’
Hinterzimmer, dann wurde es nach Hause getragen und ganz unten im
Kleiderschrank versteckt, bis meine Mutter es hervorzuholen und anzuziehen
wagte, das heißt, bis es glaubhaft erschien, daß sie es sich hatte leisten
können — ein schlauer Trick. Manchmal sah sie sich allerdings gezwungen, ihre
Mrs.-Smith-Käufe als alte Kleider auszugeben, die sie angeblich in Grandmas
Koffer

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