Die Anfänge meiner Welt
gefunden hatte.
Wie immer war das Geld zu Hause
der kritische Punkt, das umstrittene Territorium zwischen Phantasie und
Realismus, mit anderen Worten, zwischen ihr und meinem Vater. Geld war ein
Minenfeld. Meine Mutter sollte verträumt und unpraktisch, aber auch abhängig,
vertrauensvoll und in gewisser Weise durchschaubar sein, ein wenig wie man es
von Kindern erwartete (ich war es nicht). Mein Vater wußte natürlich von Mrs.
Smith, kannte aber nicht den genauen Wert der Transaktionen, weder in barer
Münze noch emotional. Verhielt sie sich unloyal ihm gegenüber? Er hatte sich in
die Valma der hübschen Kleider und der Tagträume verliebt; Hinterlist,
Täuschung und privates Schuldenmachen (Geschäftsschulden standen auf
einem anderen Blatt) waren Pfarrhauslaster, vor denen er sie gerettet hatte.
Und war ihr Verlangen nach Kleidern, die wir uns nicht leisten konnten, nicht
eine Kritik an ihm? War sie unzufrieden mit ihrem Leben? Fühlte sie sich
betrogen, ein Aschenputtel, das versehentlich den Kohlenmann geheiratet hatte?
Aber nein, protestierte sie und wandte das Gesicht ab, wenn er ihr außer der
Reihe Geld gab, damit sie Mrs. Smith bezahlen konnte (Geld, das dann als
klitzekleine Anzahlung für das Kleid diente, das sie seit Wochen anprobierte).
Bedauerte sie ihre Heirat? Ich
hoffte es, denn ich selbst tat es, ebenso wie Grandma, die es oft auch leise
aussprach. Meine Mutter aber glaubte daran, daß man durch die Ehe ein Fleisch
wird. Wie im Kino, wenn ein Cowboy und ein Indianer sich eine Ader aufritzen
und ihr Blut ineinanderfließen lassen, schuf die Ehe ein Band, das so dauerhaft
war wie Blutsbande. Das brachte Grandma auf die Palme, denn sie haßte meinen
Vater um so mehr, als er die Loyalität meiner Mutter von ihr abgezogen und es
gewagt hatte, ihre Tochter einem rothäutigen Hanmer-Stamm einzuverleiben. Sie
hatte eine Menge an ihm auszusetzen und gebrauchte seinen Namen »Eric« wie ein
Schimpfwort. Eric hatte eine schmutzige Arbeit und eine laute Stimme, Eric
machte ständig Theater wegen des Geldes, und vor allem: Eric begriff nicht,
welche Ehre es war, uns nach Chester oder Shrewsbury chauffieren zu dürfen.
Meine Mutter sah diese
Unzulänglichkeiten ebenfalls und stimmte auch mit ein, wenn Grandma die Männer
als Scheusale und Betrüger schmähte, aber für meinen Vater machte sie eine
Ausnahme und weigerte sich hartnäckig, ihn als Ungeheuer hinzustellen. Und
schlimmer noch: Nach wie vor schlief sie mit ihm, und das nicht nur, weil es in
unserem Haus keine freien Zimmer oder Dachkammern gab. Sie könnte wenigstens
die halbe Nacht aufbleiben, fand Grandma, und erst dann zu Bett gehen, wenn er
schon tief und fest schlief — aber nein.
Grandma mußte sich mit
kleineren Anzeichen von Verrat begnügen. Und Mrs. Smith war eine Verbündete.
Ihr parfümiertes kleines Gehäuse mit den feinen Kleidern erinnerte an das
Zimmer über dem Laden in Südwales, wo Grandma und ihre Schwester sich
stundenlang zum Ausgehen feingemacht hatten. Da war sie wieder, die Sphäre
ihrer Mutter. Mrs. Smith mochte zwar unmoralisch sein, aber in ihren
einschmeichelnden Worten klang die Stimme der Toten mit der Haarfarbe einer
Königin an. Was meine Mutter immer von neuem zu Mrs. Smith’ geschäftigen Händen
und ihren Schmeicheleien zog, war das Bedürfnis, bemuttert zu werden, ebenso
wie die Angst vor sozialem Abstieg.
Niemand in unserer Familie
wollte Mutter sein, man war auf ewig Tochter. Man konnte eigene Kinder haben
und dennoch Kind bleiben, wie Grandma täglich demonstrierte. Meine Mutter
setzte die Tradition fort, obwohl sie sich kaum noch an ihre Großmutter, die
mythische Muttergestalt, erinnern konnte. Doch sie war unsicher in ihrer
Mädchenhaftigkeit, wie Grandma und Katie es nie gewesen waren, sie war zermürbt
von der Hausarbeit, der sie sich nicht gewachsen fühlte, und schämte sich
dafür. Grandma — die sich ständig irgend etwas von ihr holen oder bringen oder
zu den unmöglichsten Zeiten Teekuchen toasten ließ und ihre häusliche Fron dadurch
beträchtlich vermehrte — nährte ihre Unzufriedenheit mit Erzählungen von der
goldenen Zeit ihrer Jugend, einer Zeit, in der sich alles um Frisuren und
Näschereien gedreht hatte. Aber Grandmas Vorbild bot keine andere Lösung, als
sich feinzumachen und ins Kino zu gehen. (Wir hatten noch keinen Fernseher, und
ohnehin war das Fernsehen der fünfziger Jahre noch spröde und bodenständig, man
konnte den Tag noch nicht mit Seifenopern und alten Filmen
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