Die Anfänge meiner Welt
hatten. Er hieß
Michael Price. Er wirkte wie eine aufgeschreckte Gazelle und wollte partout
nicht tanzen; wahrscheinlich war er so unerreichbar wie die Angebetete eines
Minnesängers, und so wollte Gail es auch. Ich kehrte wütend in den Saal zurück.
Der stellvertretende Schulsprecher forderte mich auf, aber es war zu spät. Als
Vic Sage prompt von neuem auftauchte, riß mir der Geduldsfaden, und ich sagte
ihm, er solle abhauen. Im ersten Moment prallte er erschrocken zurück,
aber es half nichts, der letzte Walzer fing an, und es blieb keine Zeit mehr,
auf einen anderen Partner zu warten. Und so schleppten wir uns ein letztes Mal
durch die Turnhalle, ohne ein Wort zu reden, und dann zog ich im Garderobenraum
schnell meinen Mantel an, mein pünktlicher Vater holte mich vor aller Augen mit
einem Viehlaster ab, und meine Schmach war vollkommen.
Diese Begegnung auf dem
Schulball sollte sich als schicksalhaft erweisen. Zunächst war es nur ein
schlechter Anfang. Love-fifteen, null-fünfzehn. Aber ich war daran gewöhnt, mit
Rückstand zu beginnen. Wir alle — sogar die Mauerblümchen und die Mädchen, die
mit ihren Brüdern hatten tanzen müssen — gaben uns in den Tagen danach, den
letzten vor den Weihnachtsferien, sehr erwachsen. In der Mittagspause oder nach
der Schule machten wir unsere Weihnachtseinkäufe und wogen die Vorzüge der
diversen Geschenkpackungen mit parfümierter Seife oder Badesalz für unsere
Mütter und Socken oder Taschentüchern für unsere Väter gegeneinander ab
(Rasierwasser galt damals noch als unmännlich). Wir tanzten einen neuen Tanz,
den man nur von einem Aufklärungsflugzeug aus hätte sehen können und bei dem
die Jungen, die ein paar Straßen weiter herumlungerten, unsere Partner waren.
Trotzdem waren ihre Schritte auf unsere abgestimmt und umgekehrt, so daß sich
unsere Wege in regelmäßigen Abständen kreuzten. Es war ein Tanz, bei dem man im
Café sitzen oder auch an der Bushaltestelle stehen konnte, und er schloß ein,
daß man Blicke auffing, winkte, Bemerkungen machte, die aufgeschnappt werden
sollten, und sogar ein paar Worte wechselte, allerdings meist nach dem Muster:
»Meine Freundin hat gesagt, dein Freund hätte zu ihr gesagt, er hätte dich mit
mir reden sehen.«
Gail machte sich einen Spaß
daraus, Michael Price jedesmal so lange anzustarren, bis er die Fassung verlor
und rot anlief. Wenn Vic Sage in Green End sein Rad die Gosse entlangschob,
wechselten wir die Straßenseite, wenn er es vor der Milchbar abgestellt hatte,
gingen wir nicht hinein, und so kam auch ich auf meine Kosten. Das alles
gehörte zu dem Tanz. Gail und ich schrieben jeden Abend Tagebuch und zeigten
uns die Einträge am nächsten Tag. Wir schilderten darin — obwohl wir beide
dabeigewesen waren — haarklein, welche der diversen Jungen, deren Namen wir ja
jetzt kannten, wir wo und unter welchen Umständen zu Gesicht bekommen hatten.
Zweck der Übung war es, auch noch die kleinste Andeutung einer Begegnung — je
flüchtiger, desto besser — auszuschmücken und zu genießen. Einige meiner besten
Einträge beschrieben Jungen, die wir durch Gucklöcher in den beschlagenen
Scheiben des Busses gesehen hatten, als wir nach Hanmer zurückfuhren.
Aber es gab auch engere
Kontakte, und obwohl die Rektorin wahrscheinlich glaubte, daß es Gail war, die
mich auf Abwege brachte, war ich dabei die treibende Kraft. Der Tanz durch die
Straßen fand in Schuluniform statt; am Samstagvormittag aber konnte man sich
als Erwachsene verkleiden. Das war aufregender, als es sich anhört, denn in den
fünfziger Jahren war Eleganz Erwachsenensache, Fünfzehnjährige zogen sich so
an, daß sie wie Dreißigjährige aussahen, und nicht umgekehrt. Wenn ich in jenem
Winter samstags nach Whitchurch fuhr, trug ich eine Jacke aus Wildlederimitat
mit eckigen Schultern, einen bleistiftschmalen Rock, einen engen Pullover und
Schuhe mit hohen Absätzen (die, wie Onkel Bill, der rohe Realist, mit
anzüglichem Grinsen erklärte, die Körperhaltung einer Frau so veränderten, daß
sie Titten und Hintern herausstreckte — aus biologischen Gründen). Es war genau
der richtige Aufzug für mich, denn ich hatte die Figur dafür und die
Schamlosigkeit einer Schlafwandlerin; es war, als sei diese gewagte
Zurschaustellung im Grunde eine Maske, hinter der ich mich versteckte, so wie
das dicke Max-Factor-Make-up, das mein Erröten verbarg.
In dieser Verkleidung nahm ich
den Frühbus nach Whitchurch, kaufte mir bei W. H. Smith ein Exemplar
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