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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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Bürgersteige
aufhörten. Der Rest dieser Geschichte hat somit einen neuen Schauplatz. In
gewisser Weise neu jedenfalls.
    Jahrelang war ich täglich mit
dem Bus an Sunnyside vorbeigefahren. Es war eine Villa aus der Zeit vor der
Jahrhundertwende (Buntglasfenster, spitze Giebel, verschnörkelte schmiedeeiserne
Gitter), hinter einer hohen Hecke an einer Kiesauffahrt gelegen, von Lorbeer,
Goldregen und Flieder umgeben und durch eine Blutbuche von der Straße
abgeschirmt. Das verzogene weiße Tor stand immer einen Spalt offen, und selbst
das »Zu verkaufen«-Schild war verwittert und paßte in das allgemeine Bild der
Verwahrlosung. Die Davies’ waren ihrer Zeit voraus. Niemand sonst wollte damals
ein großes Haus, es sei denn, er beabsichtigte, Zimmer zu vermieten oder ein
Heim aufzumachen. Und man hatte keinen Ärger mit der Baugenehmigung. Seit dem
Krieg waren in der Wrexham Road keine Privathäuser mehr gebaut worden; die
Sozialsiedlung, in der Vic wohnte, grenzte direkt an die Villengrundstücke, es
war also nicht gerade eine feine Wohngegend. Sunnyside war preiswert — das Haus
und das anderthalb Morgen große Grundstück kosteten 1800 Pfund — , und mein
Vater sah sofort, daß hinter dem Haus Platz für einen kleinen Fuhrpark war und
die Ställe sich hervorragend als Werkstatt und Garage eigneten.
    Aber es ging natürlich um mehr.
Nicht nur mich bedrückte die Enge in unserem Gemeindewohnhaus mit dem offenen
Wohnzimmer. Was immer meine Eltern sich zu Beginn ihres Daseins als anständige
Kernfamilie mit Baby Clive erhofft haben mochten, hatte sich durch Grandmas
Einzug und mein Elend fast schlagartig verdüstert, und inzwischen platzte The
Arowry 4 schier vor Frustration. Grandma, zunehmend gebrechlich und ans Haus
gefesselt, zitterte vor ohnmächtigem Groll ebenso wie von der Parkinsonschen
Krankheit und kam kaum noch die Treppe hinauf ins Bad, und Clive trieb sich,
wie ich früher, ständig draußen herum. Alle haßten das Haus. Wären wir, wie es
sich gehörte, eine sozial aufstrebende Familie gewesen, hätten wir eine
gepflegte neue Doppelhaushälfte mit fünf Zimmern und allem modernen Komfort
erwerben müssen. Statt dessen marschierten wir vorwärts in die Vergangenheit.
Sunnyside hatte ein berauschendes Flair von Vernachlässigung und
Abgeschiedenheit, dem nur Clive widerstehen konnte — aber der war noch zu jung,
um mitreden zu dürfen. Wir zogen ins Pfarrhaus zurück, ein Pfarrhaus ohne
Grandpa — zum Glück für meine Eltern und (sogar) für mich und Grandma, denn
trotz seines hellen, heiteren Namens war es ein schattiges, verschwiegenes Haus
mit vielen weit genug auseinanderliegenden Zimmern.
    Der Vorbesitzer war bis an sein
Lebensende nur zwischen zwei Räumen hin- und hergeschlurft, dem Wohnzimmer und
der gegenüberliegenden Küche, durch eine mit grünem Filz bespannte Tür, die
einst das Gesinde von der Herrschaft getrennt hatte. Im Staub von Jahren hatte
er einen Pfad ausgetreten, auf dem gerade noch das Mosaik des Steinfußbodens in
der Diele zu erkennen war. Sonny (Sunny?) Foulkes. Seine Familie hatte das Haus
1919 gekauft; der schneidige Hauptmann der Irish Guards, der es gebaut hatte,
war im Ersten Weltkrieg gefallen. Es war auf Amüsement ausgelegt, das sah man
noch, denn Sonny hatte wie ein Hausbesetzer darin gelebt und nichts verändert.
Es gab einen ganzen »Flügel« mit einem Billardzimmer und (im Stockwerk darüber)
fünf winzigen Dienstbotenkammern; Kellerräume mit Weinregalen, Vorratsschränken
und Haken für Wild; einen Schrank für Jagdgewehre, von jungen Burschen, die in
Diensten des Erbauers gestanden hatten, diskret geplündert — einen
ausgestopften Windhund in einer Vitrine hatten sie immerhin zurückgelassen;
einen von Maulwurfshügeln übersäten Tennisplatz; eine ziemlich große
Pferdekoppel; einen Obstgarten mit halb verdorrten Kirsch-, Pflaumen-, Apfel-
und Birnbäumen; seltene Zuchtrosen, die sich gegen Unkraut und Himbeerranken behaupten
mußten, und einen Geräteschuppen, in dem leere Gordon’s-Gin-Flaschen bis an die
Decke ordentlich gestapelt waren. Im Laub, das die Abflüsse verstopfte, lebten
elegante blaßgelbe Eidechsen. Es war ein Spiegelbild von Maelor, eine Exklave
der Zeit. Hier würden wir uns wieder in sozialem Niemandsland befinden, nicht
einzuordnen, mit reichlich Raum für einsamen Groll und phantastische Träume.
    Minimale Modernisierungen —
elektrisches Licht anstelle der undichten Gaslampen, ein neuer Küchenherd, denn
der alte fiel bei der

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