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Die Anfänge meiner Welt

Die Anfänge meiner Welt

Titel: Die Anfänge meiner Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Sage
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aus, um damit einen
fröhlichen Hintergrund zu zaubern und die Sprossenwände zu verdecken. 1957 war
unsere Schule an der Reihe: Wir mußten die Räume zur Verfügung stellen und die
Band engagieren. Wir wären lieber in die Jungenschule gegangen, die mit ihren
Sportplätzen ringsum und dem dorischen Säulengang eher einer kleinen Privatschule
glich. Es gab dort sogar eine tapfere Band von Internatsschülern, deren Väter
als Armeeangehörige im Ausland stationiert waren. Doch es war erstaunlich
leicht, sich in unserer Turnhalle wie an einem neuen, fremden Ort zu fühlen,
als erst einmal der vom Mittagessen immer etwas klebrige Parkettboden mit
Talkum bestreut, die Lampen in rosa Netze gehüllt und mit Luftballons und
Luftschlangen behängt, die Klassenzimmer links und rechts in Garderobenräume
umgewandelt und die Toiletten mit »Damen« und »Herren« beschriftet waren.
    Einige Wochen vor dem Ball
bekamen wir eigens Unterricht in Ballsaal-Etikette: dezentes Maus-Make-up; ein
pastellfarbenes Kleid; kleiner Absatz (das sah hübscher aus, und außerdem
würden die Jungen ein Mädchen, das größer war als sie, kaum zum Tanzen
auffordern); Kölnisch Wasser und kein Parfüm; Träger unsichtbar, aber vorhanden
(ohne BH zu gehen war undenkbar, auch wenn man kaum Busen hatte; es hätte
bedeutet, daß man etwas zurückgeblieben war — mangelnde Gummipanzerung war ein
Zeichen von Schwachsinn, wie Schielen und Sabbern); ja sagen, wenn man
aufgefordert wurde, aber nicht zu oft mit demselben Jungen tanzen; kein
Händchenhalten in den Tanzpausen, man mußte in seine Ecke zurückkehren wie ein
Boxer, wenn die Glocke ertönt; kein Tanzen Wange an Wange und — eine neue Regel
— kein Jive, kein Rock ‘n’ Roll. Es gab noch andere Verbote, aber die waren zu
unfein, um ausgesprochen zu werden: kein Alkohol in der Bowle, keine
unschicklichen Berührungen (Zunge, Bauch, Genitalien, Hüften), keine
Verabredungen auf dem dunklen Hockeyfeld...
    Und kein Sambesi mehr in
der Pause für Gail und mich. Jetzt wurde es ernst, wir hatten es mit Jungen aus
Fleisch und Blut zu tun, die durch all die Verbote, besonders die unausgesprochenen,
zu beinahe exotischen Wesen geworden waren. Die ganze Schule summte vor
Aufregung, und die Rektorin erschien uns menschlicher als sonst, stand sie doch
im Begriff, den gefährlichen Geist pubertärer Sexualität aus der Flasche zu
lassen und zu zähmen. In der Morgenversammlung sprach sie in Andeutungen von
Freiheit und Verantwortung, und wir kicherten unbehaglich. Es war alles
irgendwie anstößig, so als würde man von einem Polizisten gekitzelt.
    Am Tag des Balls durften wir am
Nachmittag nach Hause, damit wir uns zurechtmachen konnten. Was mein Kleid
anbelangte, so hatten meine Mutter und ich einen Kompromiß geschlossen: ihre
Vorstellungen von fließendem weißem Chiffon, den wir uns ohnehin nicht hätten
leisten können, und meine von etwas in jeder Hinsicht Billigem — schulterfrei,
enger Rock, viel Dunkelrot — aus dem Katalog, hatten sich einander angenähert.
Herausgekommen war ein wadenlanges Prinzeßkleid, »das deine hübsche Figur
betont«, wie die Verkäuferin in Shrewsbury meinte, wedgewoodblau mit weißem
Muster und eckigem, fast tief zu nennendem Ausschnitt, und insgeheim gefiel es
mir, obwohl ich mich beklagte, daß es zu babyhaft sei. Dann wieder in die
Schule, in die »Garderobe«, in der sich die Mäntel stapelten. In der Luft eine
Mischung von verbotenem Parfüm, Badesalz, Talkumpuder, Haarspray und dem
neumodischen, auf der Haut brennenden Deodorant, fremd wirkende Mädchen, die
sich in Riemchenschuhen und mit gerötetem Gesicht vor dem einzigen hohen
Spiegel drängten. Ich hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, als wir
die Turnhalle betraten. Die Decke war verschwunden, der Raum öffnete sich ins
Leere, in den Ecken war es stockdunkel.
    Die grauenvolle Aufgabe des
ersten Tanzes oblag der Schulsprecherin und dem Schulsprecher, aber wenigstens mußten
sie niemanden auffordern oder nicht aufgefordert werden. Und wenn man überhaupt
nicht aufgefordert wurde? Man würde nach und nach dem Vergessen anheimfallen,
und das Dunkel würde sich um einen schließen. Jungen stolperten durch die
Halle, die Schläfen glänzend von Schweiß und Brylcreme, einander schubsend und
anrempelnd, und plötzlich stand einer vor mir und fragte: »Darf ich...?« Ja,
sicher, die Erleichterung war enorm, und es war ein einfacher Tanz, ein Walzer.
Als sich meine dankbare Aufwallung gelegt hatte,

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