Die Angebetete
Speisekarten. Dance war nach dem Entführungsfall in Topform – sie hatte vier Kilo abgenommen – und beschloss, sich eine Portion Pommes frites zu ihrem Sandwich mit gegrilltem Hühnchen zu gönnen. Kayleigh und Tye bestellten Salate. Alicia und Bobby wählten Tostadas und dazu Kaffee, trotz der Hitze. Das Gespräch drehte sich nun um Dance’ musikalisches Interesse, und sie erzählte ein wenig von ihren eigenen gescheiterten Versuchen, als Sängerin in San Francisco Fuß zu fassen.
»Kathryn hat eine tolle Stimme«, sagte Kayleigh und ließ dabei fünf oder sechs kinesische Reaktionen erkennen, die auf eine Irreführung hindeuteten. Dance lächelte.
»Verzeihung«, ertönte die Stimme eines Mannes. »Hallo, Kayleigh.«
Es war der junge Mann von der Jukebox. Lächelnd nickte er Dance und den anderen zu und sah dann Kayleigh an.
»Hallo.« Der Tonfall der Sängerin hatte sich schlagartig geändert. Sie klang freundlich, aber zurückhaltend.
»Ich wollte nicht lauschen, aber ich habe mitbekommen, dass es irgendein Problem gegeben hat. Bist du in Ordnung?«
»Aber ja, danke.«
Es herrschte kurz Stille, und zwar die Sorte, die zu besagen schien: Danke für dein Interesse, aber du kannst jetzt gehen.
»Bist du ein Fan?«, fragte Kayleigh.
»Na klar.«
»Nun, dann danke für deine Unterstützung. Und deine Sorge. Kommst du am Freitag zum Konzert?«
»Oh, aber sicher. Ich werde da sein. Das würde ich um alles in der Welt nicht verpassen wollen. Geht es dir wirklich gut?«, hakte der Mann nach.
Wieder eine Pause, fast schon peinlich. Vielleicht dachte Kayleigh über die letzte Frage nach.
»Ja, ganz bestimmt.«
»Okay, Kumpel«, sagte Bobby. »Machen Sie’s gut. Wir würden jetzt gern zu Mittag essen.«
Der Mann lachte leise auf. »Du erkennst mich nicht, oder?«, fragte er, als wäre der Roadie gar nicht anwesend.
»Tut mir leid«, sagte die Sängerin.
»Gönnen Sie Miss Towne doch bitte etwas Privatsphäre«, stellte Alicia mit entschiedener Stimme fest.
»Hallo, Alicia«, sagte der junge Mann zu ihr.
Die persönliche Assistentin war sichtlich verblüfft. Sie kannte den Mann nicht und fragte sich, woher er ihren Namen wusste.
Der Mann ignorierte sie nun und lachte erneut, diesmal mit hoher, unheimlicher Stimme. »Ich bin’s, Kayleigh! Edwin Sharp. Dein Schatten.«
3
Ein lauter Knall hallte durch das Restaurant, als Kayleighs Eistee ihr aus den Fingern glitt und am Boden zerschellte.
Das große Glas traf dabei in einem solchen Winkel auf, dass das Geräusch wie ein Schuss klang. Dance ertappte sich dabei, dass sie unwillkürlich nach der Glock griff – aber die Pistole lag gegenwärtig bei ihr zu Hause, eingeschlossen in der Metallkassette neben dem Bett.
»Du … du bist … Edwin?«, stammelte Kayleigh keuchend und mit großen Augen.
Ihre Reaktion war fast schon panisch, doch er runzelte mitfühlend die Stirn und sagte: »He, Kayleigh, alles in Ordnung. Kein Problem.«
»Aber …« Ihr Blick huschte zur Tür, auf deren anderer Seite sich Darthur Morgan befand – mitsamt seiner Waffe, wie Dance glaubte.
Kathryn versuchte sich einen Reim auf die Situation zu machen. Der Kerl konnte kein Exfreund von Kayleigh sein, sonst hätte sie ihn früher erkannt. Also wohl ein aufdringlicher Fan. Kayleigh war genau die Art von Künstlerin, die Stalker anziehen würde: hübsch, Single, talentiert.
»Ich kann verstehen, dass du mich nicht gleich erkannt hast«, sagte Edwin Sharp, um sie bizarrerweise zu trösten, ohne zu begreifen, dass er es war, der ihr Angst einjagte. »Seit ich dir das letzte Mal ein Foto von mir geschickt habe, bin ich etwas dünner geworden. Ich hab ganze dreiunddreißig Kilo abgenommen.« Er klopfte sich auf den Bauch. »Das habe ich dir absichtlich nicht geschrieben. Es sollte eine Überraschung sein. Ich lese regelmäßig die Country Week und Entertainment Weekly und habe die Fotos von dir und einigen dieser Jungs gesehen. Ich weiß, dass du schlanke Männer bevorzugst, keine rundlichen Typen. Und ich hab mir einen Fünfundzwanzig-Dollar-Haarschnitt verpassen lassen! Du weißt ja, dass viele Männer ständig davon reden, sie würden sich ändern, ohne dass je etwas daraus wird. Wie in deinem Song. Ich wollte kein Mr. Morgen für dich sein. Ich bin ein Mr. Heute.«
Kayleigh bekam kein Wort heraus. Sie hyperventilierte beinahe.
Aus manchen Winkeln sah Edwin gar nicht so schlecht aus – dichtes Haar, konservativ frisiert wie bei einem Politiker und mit viel Spray fixiert,
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