Die Angebetete
diesen Namen ausgewählt habe. Ich kenne auf der Welt keinen einzigen Henry.«
»Du könntest eine Familie haben und trotzdem Profi bleiben.«
»Ich wüsste nicht, wie. Dieses Leben fordert seinen Tribut.«
»Loretta Lynn hat es hinbekommen.«
»Niemand ist wie Loretta Lynn. Die Frau ist einzigartig.«
Dance musste ihr beipflichten.
Und dennoch – ungeachtet aller Proteste – griff Kayleigh Towne plötzlich in die Tasche, holte einen Stift und einen kleinen linierten Schreibblock heraus und notierte sich Worte und Noten.
»Ein Song?«
»›Just can’t stop‹.«
»Du musst einfach Lieder schreiben, meinst du?«
Kayleigh lachte. »Ja, stimmt, aber gemeint habe ich, dass mir gerade diese Zeile eingefallen ist. ›Just can’t stop … spending hours … with you – Ich kann einfach nicht aufhören, meine Stunden mit dir zu verbringen.‹ Zuerst war es ›Spending time with you‹, aber ›Zeit‹ war zu kurz, es fehlte die zweite gesprochene Silbe in ›hours – Stunden‹. Ich schreibe ihn nachher noch fertig.«
»Den ganzen Song?«
»Hank Williams hat gesagt, ein Lied, das nicht in spätestens zwanzig Minuten geschrieben ist, taugt nichts. Ich brauche manchmal einen oder zwei Tage, aber mit diesem hier bin ich so gut wie fertig.«
Sie summte ein paar sehr eingängige Takte.
»Nimm es auf, ich kaufe es«, sagte Dance. »Du …« Ihre Stimme erstarb, denn zwischen den Bäumen wurden Scheinwerfer sichtbar. Ein Wagen näherte sich langsam.
Kayleigh erstarrte. »Das kann doch nicht er sein«, flüsterte sie. »Auf keinen Fall. Uns ist niemand gefolgt, da bin ich sicher. Und als wir von mir aufgebrochen sind, war Edwin gar nicht da. Er weiß nicht mal, dass ich nicht mehr bei mir zu Hause bin.«
Dance war sich da nicht so sicher. Es ergab einen Sinn, dass Kayleigh sich hierhin zurückziehen würde, vor allem, um nicht allein zu sein – Bishop hatte stets viele seiner Leute um sich. Und sie konnten zwar hoffen, dass Edwin nicht auf diesen Gedanken kommen würde, aber wenn es um den Aufenthaltsort seiner »Freundin« ging, hatte er sich, gelinde gesagt, als hartnäckig erwiesen.
Die Lichter blieben stehen und bewegten sich dann weiter, als kenne der Fahrer den Weg nicht so genau.
Oder als wolle er nicht gesehen werden.
»Sollen wir Darthur holen?«, fragte Kayleigh.
Keine schlechte Idee, fand Dance.
Doch noch bevor sie aufstehen konnte, um den Leibwächter zu verständigen, rollte der Wagen eine kleine Unebenheit in der Fahrbahn hinauf und hielt an.
Kayleigh saß auf einmal buchstäblich im Scheinwerferlicht.
Dance kniff die Augen zusammen, konnte aber nichts Genaues erkennen.
Was machte der Fahrer da?
War das Edwin? Würde er das Gaspedal durchtreten und in das Haus krachen, um erst Kayleigh und dann sich selbst zu töten?
Dance stand auf und zog Kayleigh auf die Beine.
Im selben Moment bäumte der Wagen sich auf und rollte los.
43
Doch das Fahrzeug stellte sich als ein überaus ungefährlicher – und langsam fahrender – taubenblauer Ford Taurus heraus.
Und man brauchte keine Kinesik-Expertin zu sein, um die deutliche Veränderung in Kayleighs Körpersprache zu erkennen, als sie den Fahrer sah.
»Ach, das ist Barry!«, rief sie und lächelte.
Ein sehr großer Mann, schlaksig und mit gut aussehendem langem Gesicht, stieg aus. Er hatte einen schwarzen Lockenschopf und trug eine runde Brille. Kayleigh lief die Stufen hinunter und drückte ihn an sich.
»Ich habe erst in zwei Tagen mit dir gerechnet«, sagte sie.
»Wirklich?«, fragte Zeigler nach einem kurzen Seitenblick auf Dance. »Ich habe Bishop doch vorhin angerufen und ihm mitgeteilt, dass ich heute Abend noch herfahren würde.«
»Oh, dieser Mann«, murmelte Kayleigh. »Er hat keinen Ton gesagt.«
»Ich war in Carmel und habe Neil besucht. Dann habe ich deine Nachricht über Bobby erhalten. Wie schrecklich. Es tut mir so leid.«
»Es ist furchtbar, Barry.« Kayleigh stellte Dance und Zeigler einander vor. Er war der Produzent ihres Plattenlabels und wohnte in Los Angeles. Dance kam er irgendwie bekannt vor. Dann fiel ihr ein, dass sie ihn in Kayleighs Haus auf einem halben Dutzend – teils Jahre alter – Fotos gemeinsam mit der Sängerin gesehen hatte. Auf einem der Bilder hielten sie beide eine Platinplatte des Verbandes der amerikanischen Musikindustrie, die Auszeichnung für mehr als eine Million verkaufter Tonträger, in die Kamera.
Mit seiner Jeans, dem weißen T-Shirt und dem dunklen Jackett erinnerte er Dance
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