Die Angst des wei�en Mannes
Chinesen waren damals von den indone sischen Behörden durch ein diskriminierendes Schild, eine Art »Judenstern«, kenntlich gemacht. »W.N.A. – Jina« war zu lesen, und jeder Malaie wurde darauf hingewiesen, daß hier ein Fremder lebte, ein Schmarotzer und Aussauger. Bei den Chinesen von Jambi herrschte im Umgang mit den »Bumiputra«, mit den »Söhnen des Bodens«, wie die Malaien sich selbst nennen, eine Mischung aus Furcht, Geringschätzung und Trotz. Mr. Ping war ein spindeldür rer alter Mann mit kahlem Schädel, dem niemand ansah, daß er einen höchst einträglichen Reishandel betrieb. Zwei seiner Söhne fuhren auf knatternden Hondas vor. Eine Enkelin in kurzem Kat tunkleid servierte Reis, Krabben und Suppe. Das Gespräch kam mühsam in Gang.
Unter General Suharto, der alles andere als ein muslimischer Fa natikerwar, habe sich das Zusammenleben der Rassen doch erträglicher gestaltet, fragte ich in die Runde. Aber ich stieß auf Skepsis. Daß Suharto sich insgeheim von drei »Dukun«, von Schamanen und Magiern, beraten lasse, die strenggläubigen Muslimen ein Greuel seien, deute nicht auf Versöhnlichkeit hin, genausowenig wie das offizielle Festhalten an der Staatsdoktrin »Pancasila«, diesem wohlklingenden Gemisch aus schwammigen Demokratieparolen, Toleranzedikten und kompromißlosem Nationalismus.
»Wir Chinesen haben beim Umsturz von 1965 auf grauenhafte Weise den Blutrausch des indonesischen Gastvolkes, die Wut der Malaien, den Fanatismus der Muslime zu spüren bekommen. Von diesem Entsetzen haben wir uns längst nicht erholt«, erklärte der älteste Sohn. »Was uns trennt, ist ja nicht nur die Rasse und die Kul tur. Mehr als alles andere gibt die Religion den Ausschlag. Sie has sen uns, weil wir Schweinefleisch essen.« Er war soeben von einer Reise zu Verwandten in Malaysia zurückgekommen. Auch dort war es 1969 zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Die ethni sche Gemengelage sei allerdings eine ganz andere. In Malaysia müßte sich das malaiische Staatsvolk der Bumiputra mit einem be achtlichen Bevölkerungsanteil von 25 Prozent Chinesen und acht Prozent Indern abfinden. Die Vorschriften der koranischen Gesetz gebung dulden dort auch keine Mischehen, keine Akkulturation selbstbewußter Minderheiten von Ungläubigen oder »Kuffar«.
Im Gegensatz zum Königreich Thailand, wo sich im Schatten Buddhas eine intensive familiäre Verschmelzung zwischen der staatstragenden Nation der Thai und der massiven Präsenz chine sischer Immigranten bis hinauf in die königliche Dynastie vollzo gen hatte, bleibe die Distanzierung zwischen den ethnischen Fron ten Indonesiens weiterhin unerbittlich. Der alte Mr. Ping setzte ein freudloses Grinsen auf. »Vergessen Sie unsere Klagen«, warf er ein. »Politik in Indonesien ist immer Schattentheater, und dahinter sitzt stets irgendein unbekannter, unsichtbarer ›Dalang‹, ein Drahtzie her, ein Puppenspieler. Hoffentlich trägt er demnächst nicht das weiße Gewand des mohammedanischen Ustaz.«
Der wohlgenährte, joviale Dr. Fawzi, der mir im Restaurant Lara Djongrangvon Jakarta etwa dreißig Jahre nach dieser Stippvisite in Jambi gegenübersitzt, ist ein ganz anderer Typus als der melancholische Reishändler Ping. Seit den Erlassen des Jahres 2000 war den Chinesen Indonesiens eine oberflächliche Gleichberechtigung zugestanden worden. Vielleicht spielte dabei auch der Umstand eine Rolle, daß in der Zwischenzeit die Volksrepublik China zum Rang einer Weltmacht aufgestiegen war und im Begriff stand, die kommerzielle Spitzenstellung Japans wie auch die strategische Allmacht der USA im ganzen ostasiatischen Raum zu erschüttern, ja abzulösen.
In seiner Eigenschaft als Dozent an einer technischen Hoch schule der Hauptstadt stellt der Konvertit Fawzi mit bösen Ahnun gen fest, daß der bislang in den ererbten Sufi-Bräuchen und in ge heimem hinduistischem Erbgut erstarrte Islam Indonesiens gerade bei den jungen Eliten durch die Erneuerungsbewegungen der Sa lafiya erfaßt wird. Das aktive Eintreten der religiösen Fundamen talisten für soziale Fürsorge und Gerechtigkeit dürfte – ähnlich wie im Maghreb, im arabischen Orient, in der gesamten Umma – auf Dauer bei den darbenden Massen den politischen Ausschlag geben.
Zwar gehe die Polizei des Präsidenten Yudhoyono rigoros gegen die Verschwörer der illegalen »Islamischen Verteidigungsfront« vor, aber im Laufe des endlosen Prozesses gegen die Bombenleger von Bali wurden die Sicherheitsdienste durch die
Weitere Kostenlose Bücher