Die Angst des wei�en Mannes
Erkenntnis auf geschreckt, daß operative Zellen dieser malaiischen Mudjahidin sich grenzübergreifend in paramilitärischen Befehlszonen oder »Mantiqi« organisierten. Mantiqi I richtete seine Aktivität auf Sin gapur und Malaysia aus; Mantiqi II konzentrierte seine aufrühre rische Tätigkeit auf das zentrale Staatsgebiet Indonesiens, während Mantiqi III von Sulawesi oder Celebes aus auf die Südphilippinen übergriff, wo der Aufruhr gegen die christliche und proamerikani sche Regierung von Manila seit Jahrzehnten andauert.
»Wenn Sie eine aktuelle Inszenierung der spanischen ›Reconquista‹, des unerbittlichen religiösen Verdrängungskampfes zwischen Islam und Christentum, in ostasiatischer Widerspiegelung erleben wollen«, rät mir Fawzi, »dann sollten Sie einen Ausflug zumSulu-Archipel und zur Insel Mindanao unternehmen. Dort schlägt sich die Regierungsarmee der Präsidentin Arroyo Macapagal in Erbfolge der spanischen Königin Isabella la Católica mit dem Aufstand, mit dem Heiligen Krieg der Moro-Befreiungsfront und der Abu-Sayaf-Bande herum.« Diese Konfliktsituation ist mir seit langem vertraut. Ich habe dort einst die muslimischen Rebellen, die »auf dem Wege Allahs« kämpften, persönlich getroffen.
Cantoquinto
PHILIPPINEN
Die Inseln des Magellan
Die Mauren des Fernen Ostens
Manila, Ostern 1972
Nirgendwo wird das Leiden Christi so pathetisch, so grauenvoll dargestellt wie auf den Philippinen, deren Bevölkerungsmehrheit vor Jahrhunderten zum katholischen Glauben bekehrt wurde. Den Karfreitag des Jahres 1972 hatte ich in einem Städtchen der philip pinischen Hauptinsel Luzon ganz anders erlebt als mehr als drei ßig Jahre später in der javanischen Sultanstadt Solo. Die durchweg männlichen Büßer hatten sich die Dornenkronen auf den Schädel gedrückt, daß ihnen das Blut über die Stirn floß. Dutzende von Fla gellanten geißelten ihren Rücken, bis breite, tiefrote Striemen auf platzten.
Andere hatten sich – was wohl mehr Spaß machen mußte – mit Blechhelmen und Lanzen als römische Legionäre verkleidet. Sie peitschten die Christus-Darsteller durch die Gassen und fesselten sie schließlich ans Kreuz, ehe sie diese Golgatha-Kopien aufrich teten. Irgendwo auf Luzon ließ sich jedes Jahr ein Sonderling mit Nägeln an das Kreuz schlagen, so hatte man uns gesagt. Ich be obachtete fasziniert, wie der blutige Rücken eines im Staub aus gestreckten jungen Mannes von einer alten Frau in pedantischer Regelmäßigkeit mit einer Rute bearbeitet wurde.
Aus unzähligen Lautsprechern dröhnten Choräle und Bußlieder, docham populärsten waren in dieser Karwoche die Weisen des großen Welterfolges: »Jesus Christ, Superstar«. Das düstere Ritual der Karwoche entfaltete sich in ekstatischer Inbrunst bei den prachtvollen Prozessionen, denen die Statuen verzückter, blutüberströmter Märtyrer vorangetragen wurden, steigerte sich in der nächtlichen Stunde der österlichen Auferstehung zu einem taumelnden religiösen Triumphalismus. Die »Semana Santa«, die nach dem Vorbild Sevillas mit Umzügen von Büßern gestaltet wurde, und die Verkitschung des Erlösungsmythos durch den Medienrummel Hollywoods waren auf den Philippinen eine eigenartige, schockierende Synthese eingegangen. Aber das entsprach im Grunde der historischen Entwicklung dieses ostasiatischen Archipels.
Schon als Kind hatte mich die grandiose Expedition fasziniert, die in den Chroniken des »bedeutendsten Seefahrers aller Zeiten«, des Portugiesen Ferdinand de Magellan, überliefert wird. Unter dem Namen Fernando de Magallanes hatte er seine Flotte von fünf Karavellen in den Dienst der spanischen Krone gestellt. Auf Wei sung Kaiser Karls V. sollte er – unter Respektierung des päpstlichen Schiedsspruchs zur Aufteilung des Globus – nach einem Seeweg su chen, der – im Gegensatz zu den Lusitaniern, die die malaiische In selwelt und ihren unermeßlichen Reichtum an Gewürzen über den von ihnen beherrschten Indischen Ozean erreicht hatten – durch Erkundung neuer Passagen zu erschließen wäre. Nach Überque rung des Atlantik und Umschiffung der Südspitze Amerikas hatte sich für Magellan die unendliche Weite des Stillen Ozeans aufge tan. So erreichte er am Ostrand Asiens die Philippinen, die dem spa nisch-habsburgischen Weltreich eingegliedert werden sollten.
Vielleicht wurde meine Bewunderung für die Conquistadoren zu sätzlich durch das erste französische Gedicht animiert, das ich in meinem Literaturunterricht lernte. Das
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