Die Angst des wei�en Mannes
heimnisvollen Imperiums bewußt. Immer wieder hatten sie den Ver such unternommen, durch die Entsendung kirchlicher Emissäre an den Hof von Peking, wo damals die mongolische Yuan-Dynastie re sidierte, ein Bündnis gegen die rasante Ausbreitung der islamischen »Futuhat« zu schmieden, die sich des Grabes Christi bemächtigt hatten. Schon dehnte sich der unaufhaltsame Eroberungsritt der Muselmanen rund um das Mittelmeer, ja bis nach Zentralasien aus. Die Bemühungen des Heiligen Stuhls sind allesamt gescheitert. Der staunende Okzident blieb in seiner Kenntnis der blühenden Zivili sation zwischen den Strömen Hoang Ho und Yangtsekiang im we sentlichen auf die umstrittenen und extravaganten Reiseschilderun gen Marco Polos angewiesen.
Einewirkliche Verbindung zwischen dem Stellvertreter Christi in Rom und dem chinesischen Himmelssohn in Peking kam erst zu stande, als der Jesuitenorden seine hochgebildeten Emissäre über Macao in die Verbotene Stadt entsandte. Noch heute gibt die Stern warte des italienischen Paters Ricci – von der kolossalen Silhouette der chinesischen Hauptstadt fast erdrückt – Kunde vom Bemühen der Societas Jesu, auf dem Wege eigener, zumal astronomischer Wissenschaft Rang und Ansehen in einer exotischen Umgebung von Höflingen, Feldherren, Kurtisanen und Eunuchen zu finden.
Manche von ihnen, so der Pater Schall aus Köln, wurden mit den höchsten Würden des Mandarinats ausgezeichnet. Sogar auf dem Gebiet der Kriegskunst suchte sich die Gesellschaft Jesu unentbehr lich zu machen, indem sie ihrem Gastvolk, das das Pulver längst er funden hatte, das Gießen von Kanonen beibrachte, um die Noma denvölker der nördlichen Steppe besiegen zu können, die sich wieder einmal anschickten, den Drachenthron zu erobern und der erlahmenden Ming-Dynastie den Todesstoß zu versetzen.
Um die Umgebung des Papstes für ihre Missionsarbeit zu gewin nen, hatten die Jünger des Ignatius von Loyola ein überaus positi ves, fast idyllisches Bild vom Reich der Mitte entworfen. Ihr Ehr geiz war auf die Bekehrung des Kaisers von China zum katholischen Glauben gerichtet, in der Annahme, daß die Hinwendung seiner zahllosen Untertanen zur Botschaft des Kreuzes dann nur noch Frage eines imperialen Erlasses wäre.
Die Societas Jesu hat verzweifelt versucht, die starren, dogmatischen Vorstellungen der Renaissancepäpste zu durchbrechen und insbesondere den Ahnenkult, der für das konfuzianische China unverzichtbar war, nach bewährter kasuistischer Methode mit der heiligen Verehrung der Katholizität in Einklang zu bringen. Die Jesuiten sind nicht nur an der Weigerung Roms gescheitert, dieser exotischen Abschweifung nachzugeben. Ihr ganzes Konzept war möglicherweise verfehlt. Abgesehen von einer Reihe hoher Würdenträger, die sich taufen ließen, verharrte der Hof in der unwandelbaren Rigidität der konfuzianischen Sittenlehre und ihrer pedantischen Riten. Selbst die Mandschu-Eroberer, die sich, kaum demBarbarentum entronnen, auf dem Drachenthron einrichteten, unterwarfen sich den uralten Regeln des Meisters Kong, ja praktizierten seine Vorschriften mit dem Eifer von Neophyten.
Die Berichte der Jesuiten hatten die päpstliche Riten-Kongrega tion nicht umgestimmt. Im Jahr 1742 setzte Papst Benedikt XIV. mit seinem kategorischen Edikt einen Schlußstrich unter diese fernöstli che Akkulturation und verbaute damit möglicherweise eine einma lige Missionierungschance der Geschichte. Paradoxerweise fanden die frommen Patres eifrige, begeisterte Lehrer unter ihren schärfsten ideologischen Gegnern, den kirchenfeindlichen Philosophen und Dichtern der Aufklärung. In ihrem Bemühen, abendländisches Inter esse für das Reich der Mitte zu wecken, Subventionen und Anerken nung für ihre entsagungsvolle Tätigkeit in Peking zu gewinnen, war das Reich der Mandschu-Kaiser, das bereits im achtzehnten Jahrhun dert mit vielen Kennzeichen des Verfalls und der geistigen Sklerose behaftet war, von den europäischen Geistlichen als eine ideale Ge lehrtenrepublik platonischen Zuschnitts beschrieben worden.
Der Kaiser thronte lediglich als wohlwollendes Symbol erdent rückter Despotie über ihr, während der Stand der Krieger, der im spätfeudalen Europa hohes, fast exklusives Ansehen genoß, bei den Söhnen des Himmels auf der untersten Gesellschaftsstufe rangierte und sich keinerlei Achtung bei jenen Gebildeten erfreute, die die höchste Autorität innehatten. Daß in Peking das Erlangen manda rinaler Würden an das Bestehen von
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