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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Industrienationen. Die Bank of China ist infolge einer gewaltigen Anhäufung amerikanischer Wertpapiere, Schatz anleihen und Dollarreserven ein lebenswichtiger Partner der Ver einigten Staaten von Amerika und für eine eventuelle Stabilisierung beziehungsweise Konsolidierung der US-Ökonomie unentbehrlich geworden. Die Europäer sind demgegenüber auf eine zweitrangige Position zurückgefallen.
    Daß das gewaltige Reich der Mitte vor Zerreißproben nicht ge feitist, dessen dürfte sich das Parteikollektiv des Generalsekretärs Hu Jintao, dessen interne Spannungen selten nach außen dringen, sehr wohl bewußt sein. Der »Drachensohn«, der gottähnliche Kaiser in der Verbotenen Stadt, mußte stets befürchten, daß – als Folge von Naturkatastrophen, administrativer Mißwirtschaft oder militärischen Niederlagen – das Volk sich gegen ihn auflehnte und er selbst des »Auftrags des Himmels« verlustig ging. Da half es ihm auch nicht, daß jedes seiner Dekrete mit der Weisung »Zittere und gehorche!« endete.
    So war der kriegerische Tumult der »Roten Turbane«, der im vierzehnten Jahrhundert der mongolischen Fremdherrschaft der Yuan-Dynastie ein Ende setzte, Ausdruck der geballten Unzufrie denheit des Volkes. Er war durch die Wühlarbeit von Geheimge sellschaften, deren Strukturen sich unter dem Namen »Triaden« bis auf den heutigen Tag erhalten haben, vorbereitet worden.
    Schon tausend Jahre zuvor hatte eine Art chinesischer »Bund schuh« der »Gelben Turbane« die kaiserliche Herrschaft erschüt tert. Für den Bestand des Reiches stellte die kurz darauf folgende mystische Massenbewegung der »Gelben Kopftücher« jedoch eine weit größere Gefahr dar, entsprach sie doch einem Hang zu magi scher Sektenbildung, die im Taoismus wurzelte und gegen die Miß stände des konfuzianischen Mandarinats anstürmte.
    Noch im neunzehnten Jahrhundert wäre die Mandschu-Dyna stie fast vom Thron gefegt worden, als der Bauernsohn Hong Xiu quan sich in seinem religiösen Wahn als jüngerer Bruder Jesu Christi ausgab. Er predigte die »allgemeine Gleichheit auf Erden«, die manche Elemente der maoistischen Zwangskollektivierung auf verblüffende Weise vorwegnahm. Nach einer Periode unsäglicher Greuel und Massaker, die fast fünfzig Jahre andauerte, wurde der Usurpator, der sich den Titel eines »Himmlischen Königs des Himmlischen Reiches des Friedens« zugelegt hatte, aus seinem Re gierungssitz Nanking vertrieben. Es hatte eines Aufgebots euro päischer Söldner und Abenteurer unter dem Befehl des britischen Generals Gordon bedurft, um die Taiping-Revolte – unter diesem Namen ist sie in die Geschichte eingegangen – im Blut zu ersticken.
    Diederzeitige Staatsführung weiß, daß die ansonsten so nüch tern und pragmatisch wirkende Rasse der Han gegen gewaltsam ausufernde Anwandlungen mystischer, chiliastischer Hirngespinste keineswegs gefeit ist. So läßt sich in unseren Tagen die unerbittli che Verfolgung der Falun-Gong-Sekte erklären. Mit allen Mitteln versucht Peking zu verhindern, daß der beachtliche Zulauf, den Fa lun Gong vor allem bei der Jugend findet, sich nicht zu einer neuen pseudo-religiösen Erweckungsbewegung ausweitet.
    Fremdherrschaft ist den Chinesen nicht erspart geblieben. Aus Westen kommend, eroberten die mongolischen Erben Dschingis Khans das Reich der Mitte und verhalfen ihm unter Kaiser Kublai Khan zu beachtlicher Expansion. Knapp dreihundert Jahre später stürmten die Mandschu-Horden aus Norden heran und bemäch tigten sich des Pekinger Drachenthrones. Ihre am Ende dekadente und in Palastintrigen erstickende Yuan-Dynastie wurde erst im Jahre 1911 nach der Ausrufung der Republik durch Sun Yatsen aus der Verbotenen Stadt vertrieben. Aber die der Han-Rasse und ih rer Zivilisation innewohnende Kraft erwies sich als so gewaltig und überlegen, daß die Eindringlinge binnen kurzer Zeit einer totalen Assimilation erlagen und sämtliche Bräuche und Riten des konfu zianischen Hofes übernahmen.
    In diesen geschichtlichen Prüfungen kam den Chinesen zugute – so unterschiedlich ihr Aussehen zwischen der Hoang-Ho-Ebene und den Bergen Yünans auch sein mochte, so sehr sie bislang durch diverse Sprachbarrieren, die erst heute durch die obligatorische Einführung des Mandarin überwunden werden, getrennt waren –, daß sie sich stets allen anderen Völkern des Erdballs weit über legen fühlten. Die Geringschätzung aller Fremden macht übrigens auch vor den Europäern nicht halt, wie jeder bestätigen kann,

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