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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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der junge Mann, trete diese westli cheVoreingenommenheit gegen die Jünger des Propheten Mohammed in Kaschmir in Erscheinung, wo die indische Regierung von Delhi, der angeblich »größten Demokratie der Welt«, der muslimischen Bevölkerungsmehrheit das von der UNO gewährte Selbstbestimmungsrecht konsequent verweigere. Aus der paradiesischen Landschaft rund um den Dal-See, wo ich einst an Bord eines Hausbootes als »Sahib« zu den Zauberschlössern der Mogul-Herrscher gerudert worden war, war inzwischen ein tückisches Kampfgebiet geworden. Die Hauptstadt von Jammu-Kaschmir, Srinagar, wurde in ein befestigtes Lager verwandelt. Zeitweise hatte Delhi eine halbe Million Soldaten in diesem Unionsstaat am Rande des Himalaya stationiert.
    Der Repression der indischen Staatsorgane, die vom Westen wie eine »heilige Kuh« geschont wurden, seien bereits 70 000 Wider standskämpfer oder Jihadi zum Opfer gefallen. Aber von den Medien der USA und Europas würden diese Freiheitskämpfer als blutrünstige »Terroristen« diffamiert. Ob es wohl jetzt dem Polit büro in Peking gelingen würde, auch das national-religiöse Auf bäumen der Muslime von Xinjiang in jene Kategorie von brutalen Gewalttätern einzureihen, deren Ziel es sei, die ganze Welt durch ihre Anschläge in Angst und Schrecken zu versetzen, bleibe abzu warten.
    Die Tatsache, daß auch in Guantánamo rund ein Dutzend Uigu ren den dort üblichen Verhör- und Foltermethoden ausgesetzt wa ren, könnte in diese Richtung weisen. Im übrigen, so fügte der junge Unbekannte hinzu, der sich nach dem Gespräch hastig verabschie dete, hätten bereits 400 000 Uiguren aus China im Umkreis von Osch Zuflucht und Asyl gesucht. Die einheimische Bevölkerung habe auf diese Zuwanderung recht unfreundlich reagiert.
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    Wer hätte sich während der Kanzlerschaft Willy Brandts vorstellen können, daß die Behauptung eines sozialdemokratischen Verteidigungsministers, »Deutschland wird am Hindukusch vertei digt«,die mehrheitliche Zustimmung des Bundesrates finden würde. Irgendwie scheint eine kuriose Form von Wilhelminismus in der Bundesrepublik wieder aufgelebt zu sein, seit die Ministerien und das Parlament sich an die Spree zurückbegeben haben.
    Auf einer Pressekonferenz in Moskau vor zwei Jahren war der stellvertretende Ministerpräsident Sergej Iwanow nach einer even tuellen Bereitschaft Rußlands befragt worden, der Europäischen Union und dem Atlantischen Bündnis beizutreten, was dieser Ve teran des Auslandsgeheimdienstes mit einem schallenden Geläch ter beantwortete. Davon könne wirklich nicht die Rede sein, meinte er. In Rußland wolle doch niemand der deutschen Bundeswehr zu muten, die Ostgrenze Rußlands eines Tages in Erfüllung ihrer Bündnispflicht gegen Nordkorea zu verteidigen.
    Die mysteriöse Welt zwischen Tarim-Becken und Dsungarei hatte mich schon als Knabe fasziniert. Ich las mit Begeisterung die Reise- und Entdeckungsschilderungen des Schweden Sven Hedin, der Urumqi, die Hauptstadt des heutigen Xinjiang, als turkestani sches Räubernest hinter dicken Lehmwällen schilderte. Es war ex trem abenteuerlich zugegangen in dieser West-Provinz, nachdem die Mandschu-Dynastie in Peking gestürzt und Ost-Turkestan die Beute grausamer und unberechenbarer »Taifu« oder Warlords wurde.
    Im Jahr 1931 war es zum Aufstand der Muslime gekommen – es handelte sich überwiegend um Dunganen, die man heute Hui nennt – ausgelöst durch eine Einwanderungswelle chinesischer Kolonisten aus der Provinz Kansu. Vier Jahre lang hat der Jihad um den Besitz Chinesisch-Turkestans gedauert. Als Kommandeur der muselmanischen Krieger wurde ein blutjunger General berufen, Ma Zhongying, das »Große Pferd« genannt. Mit siebzehn Jahren hatte sich dieser Hui mit dem Kindergesicht bereits selbst zum Oberst befördert. Jetzt wütete er an der Spitze seiner Dunganen wie ein neuer Tamerlan. In dem Maße, wie sich auch die türkisch-muslimische Bevölkerung seinen Reiterhorden anschloß und er – mit Ausnahme Urumqis – eine Oase nach der anderen eroberte, verfiel das »Große Pferd« wohl dem Größenwahn. Er proklamierte sich zumneuen Kalifen, ja erhob sogar den Anspruch auf den Erlösertitel des »Mahdi«. Unter den Han-Chinesen richtete er entsetzliche Massaker an.
    Im Moskauer Kreml hatte Stalin die militärischen Erfolge des »Großen Pferdes« mit wachsender Irritation beobachtet. Einerseits befürchtete er das Übergreifen der islamischen Revolte auf seine eigenen Territorien in

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