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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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stellte. Er hielt mir einen langen Vortrag über die unbegrenzte reli giöse Toleranz, die auch den Muslimen von Xinjiang seit dem Pekinger Reformprogramm zugute komme.
    Der Kontakt zu den jungen, und wie mir schien aufsässigen Re ligionsschülern war abgebrochen. Statt dessen wurde mir nun der Haupt-Imam Abudu Rixiti Kaziaj, wenn ich mir den chinesisch verzerrten Namen richtig gemerkt habe, präsentiert. Der würdige Greis, dessen Turban ebenso weiß war wie sein schütterer Bart, war sicher ein redlicher Diener Allahs. Aber sein Einfluß war gering. Zum Tee wurden uns zuckersüße Trauben aus Turfan serviert.
    Am folgenden Tag bin ich nach Urumqi zurückgeflogen, und die dortigen Behörden verzichteten auf Schönfärberei. »Wir machen uns keine Illusion«, sagte mir ein hoher Provinzbeamter bei einem Essen im Holiday Inn. »Das Problem der islamischen Wiedergeburt entdecken wir auch in dieser Region. Das wird sich nicht durch wirtschaftliche Fortschritte allein beheben lassen. So marxistisch denken wir heute nicht mehr. Es hat diverse Versuche gegeben, die hiesigen Muslime gegen die Pekinger Führung aufzustacheln. Ja, es sind uigurische Partisanen und Saboteure in Afghanistan ausgebildet worden. Zusätzlich sickerten über Pakistan arabische Prediger ein.Aus Kasachstan wurde politisch-religiöse Aufwiegelung importiert und sogar aus der Türkei. Seit den Exzessen der Kulturrevolution gewähren wir unseren Nationalitäten ein weitgehendes kulturelles Eigenleben, ja ein gewisses Maß an Selbstverwaltung. Sezessionsbestrebungen hingegen werden wir nicht dulden.«
    Damals ahnte niemand, daß der Anschlag auf das World Trade Center von New York und auf das Pentagon die Atlantische Al lianz in eine geostrategische Neuorientierung zwingen würde, daß der Hindukusch zum Schwerpunkt einer kriegerischen Auseinan dersetzung des Westens mit dem militanten Islam würde, die weit über die Grenzen Afghanistans hinausgreift.
    Der Kampf gegen den Terror und gegen den »Islamo-Faschis mus«, den George W. Bush zur Leitlinie seiner Außenpolitik und Strategie erhob, ist dem strengen chinesischen Vorgehen gegen jede Form von uigurischem Separatismus zugute gekommen. Wer interessierte sich in USA wohl für eine verzweifelte Schar türkisch islamischer Rebellen, die von der Errichtung eines Kalifats träum ten und in ihrem koranischen Eifer den afghanischen Taleban allzu nahestanden? Sogar in den Reihen von El Qaida hatte die CIA eine kleine Gruppe von Uiguren aufgespürt. In seiner Polemik gegen die »Kräfte des Bösen« hatte der amerikanische Unterstaatssekretär Armitage seinerzeit der Volksrepublik China das volle Verständnis der USA ausgedrückt für die Niederkämpfung der »Islamischen Bewegung Ost-Turkestans« und ihrer separatistischen Agitatoren.
    Ob Washington nach dem Einzug Barack Obamas ins Weiße Haus sich noch ebenso kategorisch äußern würde, ist nicht gewiß. Das State Department hat auf den nationalistischen Aufruhr in Urumqi sehr zurückhaltend reagiert. Den amerikanischen Geheim diensten war ja tatsächlich eine Reihe von uigurischen »Gotteskrie gern« ins Netz gegangen und ohne Verzug in das umstrittene La ger von Guantánamo verschleppt worden.
    Bekanntlich hätte Präsident Obama die Verhör- und Folterkäfige am Ostrand von Kuba am liebsten sofort aufgelöst, aber neben diversen juristischen Problemen stellt sich die Frage, wohin man die dortigen Gefangenen, die mutmaßlichen Terroristen, verschicken kann.In den Augen zahlreicher US-Bürger bleiben sie potentielle Übeltäter und Bombenleger. An ihre Heimatländer kann man sie in den meisten Fällen nicht ausliefern, denn dort gelten sie als gefährliche Elemente der Revolution. Vor allem in China würde man gegen die uigurischen Verschwörer mit äußerster Strenge vorgehen.
    Bei ihrer Suche nach Gastländern, die sich bereit fänden, den Häftlingen, die durchaus nicht alle harmlos waren, Unterkunft zu gewähren, hatte die US-Administration die Bundesrepublik Deutschland als Bestimmungsort für die chinesischen Dissidenten Xinjiangs auserkoren. Daß eine Zustimmung Berlins zwangsläufig von Peking als Affront empfunden und das deutsch-chinesische Verhältnis nachhaltig getrübt würde, hätte man am Potomac bereit willig in Kauf genommen. Die große Koalition von Berlin hat im merhin den Mut aufgebracht, dieser amerikanischen Zumutung eine Absage zu erteilen.
    Am Ende verfiel man in Washington auf einen seltsamen Ausweg. Unter den westpazifischen

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