Die Angst des wei�en Mannes
Inseln Mikronesiens waren ja diverse Atolle, die nur ein paar tausend Einwohner zählten und von der all mählichen Überflutung durch den Ozean bedroht sind, nach der Befreiung von den Japanern in souveräne Staatswesen verwandelt worden, die den USA als willfährige Klienten zur Verfügung stan den. Zu diesen kuriosen Gebilden zählte auch die winzige Insel gruppe von Palau, deren Regierung sich gegen eine substantielle finanzielle Abfindung auch bereit fand, die gestrandeten Jihadisten vom Volk der Uiguren unter ihren Palmen unterzubringen. Der Vorgang entbehrt nicht einer gewissen Komik.
Wer weiß denn heute noch zwischen Rhein und Oder, daß die In sel Palau in den Jahren 1900 bis 1914 deutscher Kolonialbesitz war. Die große Koalition von Berlin hatte sich gegen die Überstellung der Uiguren erfolgreich zur Wehr gesetzt. Der Zufall hat es gefügt, daß das Häuflein von Islamisten aus Xinjiang auf einer winzigen In selgruppe im Stillen Ozean stranden würde, wo vor hundert Jahren noch die schwarz-weiß-rote Fahne des wilhelminischen Kaiserrei ches wehte. Ein Treppenwitz der Geschichte.
EPILO G
Der Nachla ß
Die Uiguren auf Palau führen uns wieder zum Ausgangspunkt die ser Reisechronik zurück, an den Rand des Westpazifik. Die Versu chung war groß, nach einer Inspektion des Tunnellabyrinths, das die ägyptische Sinai-Halbinsel mit dem Gazastreifen verbindet, und einem Gespräch mit dem Kommandanten der schiitischen Hizbullah nahe der südlibanesischen Hafenstadt Tyros, diese Stu die um einen Exkurs über den Mittelmeerraum zu ergänzen, der für das Schicksal Europas eine wesentlich gravierendere Bedeutung besitzt als die Felslandschaft des Hindukusch. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und schon sehr bald dürfte sowohl die pre käre Lage im Irak als auch die sich verschärfende Konfrontation im Raum AFPAK – Afghanistan und Pakistan – eine gründliche Neu bewertung der dortigen Situation erfordern.
In den diversen »Cantos« dieses Buches handelt es sich um Mo mentaufnahmen von Situationen, die ständiger Bewegung unter liegen; aber sie wurden aus unmittelbarer Nähe, aus höchstpersön licher Erfahrung gemacht. Mit dieser Methode, »rem ante oculos ponere«, bin ich bisher ja nicht schlecht gefahren.
Am Ende eines halben Jahrtausends glorreicher und auch schmachvoller Weltbeherrschung durch den »weißen Mann« stellt sich die Frage, welche Spuren diese gewaltige Anstrengung hinterlassen, auf welche Weise sie in der vom Kolonialismus emanzipierten »Völkerfamilie« nachwirken mag. Das Thema böte Stoff für ein umfassendes Compendium, und so wollen wir uns an dieser Stelleauf eine begrenzte Zahl von Schauplätzen beschränken. Dabei drängt sich der Rückblick auf das ferne Altertum auf. Den Eroberungszügen des Makedoniers Alexander war es zu verdanken, daß die unvergleichliche Kultur des antiken Griechenland zwischen Nil und Indus in Form des Hellenismus expandierte. Der Name »Iskander« hat heute noch bei den Muslimen Zentralasiens einen magischen Klang.
Seit – dem Dichter Vergil zufolge – die römische »urbs« durch den trojanischen Helden Aeneas gegründet wurde, hat die Be deutung dieses einzigartigen Imperiums wie auch die idealisierte Vorstellung der »pax romana« die Strukturen geschaffen, auf die sich das Papsttum stützte. Die germanischen Stammesfürsten des Mittelalters wurden in einem »Sacrum Imperium Romanum« in tegriert, das sich erst sehr spät – durch den Zusatz »Nationis Ger maniae« – eine Begrenzung seines Universalanspruchs auferlegte. Sowohl das deutsche Wort »Kaiser« als auch der russische Titel »Zar« leiten sich von dem lateinischen Namen »Caesar« ab. Erst im Jahr 1803 setzte auf Befehl Bonapartes der Reichsdeputations hauptschluß dieser inzwischen ausgelaugten, dem Hause Habsburg verfallenen Schimäre ein Ende.
Welches ist aber nun – seit dem Jahr 1500 – die Hinterlassen schaft, die die verschiedenen europäischen Entdecker und Koloni satoren der Nachwelt auferlegten? Welche kulturellen Errungen schaften haben sich so nachhaltig eingeprägt, daß sie auch nach dem allmählichen Kräfteschwund des weißen Mannes, nach dem Verlust seiner Prärogativen sich in der Nachwelt verewigen könnten? Wel ches Erbe haben Portugiesen und Spanier, Holländer und Englän der, Franzosen und Russen hinterlassen, ganz abgesehen von den US-Amerikanern, die noch mit einem Fuß auf den Stufen ihres Thrones verharren?
Wirklich beeindruckend bleibt im Rückblick
Weitere Kostenlose Bücher