Die Angst des wei�en Mannes
Millionen Nordafrikanern auf dem Boden Frankreichs, die oft die französische Staatsangehörigkeit besitzen, sich jedoch weiterhin diskriminiert und ausgegrenzt fühlen, tickt wie eine Zeitbombe in den verwahrlosten Außenbezirken, den Banlieues der großen Städte.
Zwar hat die Fünfte Republik noch ihre Souveränitätsrechte über diverse »Territoires d’Outre-Mer«, darunter Neu-Kaledonien und die Gesellschaftsinseln im Pazifik, beibehalten. Die Insel Réunion im Indischen Ozean oder die Antillen-Inseln Martinique und Gua deloupe in der Karibik genießen sogar den gleichen Rechtsstatus wie die Départements des Mutterlandes. Aber den meisten Franzo sen ist nicht recht wohl beim Gedanken an diese Fetzen ihres ehe maligen Kolonialreiches, an diese »confettis de l’Empire«, wie man in Paris sagt. Wer erinnert sich heute noch daran, daß der franzö sischen Sprache im achtzehnten Jahrhundert eine so eminente Be deutung zukam, daß Friedrich der Große auf französisch dichtete und Katharina die Große ihre Liebesbriefe an ihre jeweiligen Günstlinge in der Sprache Corneilles verfaßte? Die Frankophonie reduziert sich zusehends auf eine Anzahl schwarzafrikanischer Staa ten südlich der Sahara und die kanadische Provinz Québec, die ihre »francité« unter dem Motto »je maintiendrai« gegen die erdrük kende angelsächsische Umgebung behauptet, bisher jedoch darauf verzichtet, innerhalb des kanadischen Commonwealth nach der Ei genstaatlichkeit, der »indépendance«, zu greifen.
Strategische Bedeutung und eine hervorragende wissenschaftliche Funktion fällt lediglich der letzten Besitzung Frankreichs am Nordrand Südamerikas zu. Das Département Guayane und seine Hauptstadt Cayenne genossen früher als grausamer Verbannungsort für Schwerverbrecher einen fürchterlichen Ruf. Der zu Unrecht verurteilte Capitaine Dreyfus hat auf der Teufelsinsel im Kerker geschmachtet. Dem breiten Publikum ist diese »grüne Hölle« durch den Roman und den Film »Papillon« bekannt. Für Frankreich ist Guayane unverzichtbar geworden, und eine Sezession würde dort notfalls mit Waffengewalt unterdrückt. Dieses Stück Urwald am Rande des schlammgefärbten Atlantik hat eine kapitale Bedeutung erlangt,seit in dem Flecken Kourou eine Abschußbasis für Weltraumraketen installiert wurde. Dort hat Europa den sensationellen Durchbruch zu einer maßgeblichen Zukunftstechnologie erzielt.
Von Cayenne aus führt inzwischen eine Allwetterstraße auf die Grenze Brasiliens zu, eine Strecke, die unter unsäglichen Mühen von der Fremdenlegion ausgebaut wurde.
Die Revanche Portugals – Großmacht Brasilien
Salvador de Bahia (Brasilien), im Februar 2009
Und Portugal? Mit der Hymne Luís Vaz de Camões’ zum Ruhm der lusitanischen Entdecker hat dieses Buch begonnen. Mit einem por tugiesischen Nachlaß soll es auch enden. Der Rausch historischer Größe hat für Lissabon nicht lange gedauert. Unmittelbar nach dem Tod des Dichters und Abenteurers Camões wurde seine Heimat als Folge einer dynastischen Erbfolgevakanz von Philipp II., König von Spanien, annektiert. Nachdem die Unabhängigkeit wiedererrungen war, gelang es den Portugiesen nicht mehr, sich aus ihrer peri pheren Bedeutungslosigkeit zu lösen. In der engen Anlehnung an England, die zeitweise einer Unterwerfung gleichkam, suchten die Erben des Vasco da Gama Schutz vor der Willkür der neuen konti nentalen Großmächte. Die Regierenden am Tejo verfügten zwar weiterhin über gewaltige Territorien in Afrika, über Gebietssplitter im chinesischen Macao, im indischen Goa und auf Timor. Als der schwarze Kontinent auf der Berliner Kongokonferenz im Jahr 1885 unter den europäischen Mächten aufgeteilt wurde, beließ man den Portugiesen den Besitz von Angola und Mosambik. Aber um 1900 befanden sich diese Gebiete in einem derartigen Zustand der Ver nachlässigung und Rückständigkeit, daß zwischen London und Ber lin über deren Aufteilung ernsthaft beraten wurde.
In Wirklichkeit hatte die weltgeschichtliche Bedeutung Portugals jenseitsdes Atlantik eine neue Heimat, die Voraussetzung für eine grandiose Wiedergeburt, gefunden. Im Jahr 1500 hatte der Seefahrer Pedro Álvares Cabral die nach Osten in den Ozean ragenden Küsten Brasiliens entdeckt und – unter Berufung auf den Schiedsspruch des Borgia-Papstes Alexander VI. – für Portugal in Besitz genommen. Versuche französischer und holländischer Flotten, der Dynastie von Braganza diese kolossale Erweiterung streitig zu machen,
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