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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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bleibt die traditio nelle weiße Oligarchie darauf bedacht, weiterhin ihr europäisches Aussehen zu erhalten. Aber ansonsten stört sich niemand an den vielfältigen Hautschattierungen und den Folgeerscheinungen zahl loser ethnischer Kreuzungen.
    Die entspannte Atmosphäre zwischen Schwarz und Weiß, die in krassem Gegensatz steht zu den in den USA immer noch an haltenden Verkrampfungen und Animositäten zwischen »Euro-Americans« und »Afro-Americans«, hatte ich auf besonders lok kere Art und Weise im kolumbianischen Hafen Cartagena de Indias wahrgenommen, als meine spanische Begleiterin mitten im tiefschwarzen Stadtzentrum einen etwa zehnjährigen Knaben heranwinkte, um ihm gegen ein kleines Entgelt die Obhut über ihr geparktes Auto anzuvertrauen. »Negrito«, rief sie ihn herbei, und auf die Vorhaltung meiner Frau, der kleine Schwarze und seine Umgebung könnten sich doch beleidigt fühlen, reagierten beide mit entwaffnendem Lächeln. »Pero son suaves, los negritos«, erwi derte unsere spanische Freundin – »Diese Negerlein sind doch so lieb.«
    Von Komplexen – so schien es wenigstens – blieb diese kunterbunte Gesellschaft weitgehend verschont, obwohl Brasilien keine Form staatlicher Verirrung und Willkür erspart geblieben ist. Auf das extravagante Kaiserreich war nämlich die »Republik der Obristen« gefolgt. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise von 1930, alsdie überschüssige Kaffee-Ernte in den Feueröfen der Lokomotiven verheizt wurde, kam der faschistoide Diktator Getúlio Vargas an die Macht. Es stellten sich periodische »Pronunciamentos« des Militärs ein in enger Komplizenschaft mit den allmächtigen Wirtschaftsbossen, die ihrerseits aus Washington manipuliert wurden. Parallel dazu verstärkte sich jedoch der Einfluß der Gewerkschaften. Die Arbeiterschaft meldete ihre Ansprüche an, und in den Armenvierteln der »Cariocas«, in den Favelas, gliederte sich die ausgreifende Kriminalität in diversen Mafia-Organisationen.
    Auf Ost-Timor hatte sich die katholische Kirche im Kampf um die Unabhängigkeit von Indonesien auf die massive Zustimmung und Ergebenheit der Bevölkerung verlassen können. In Brasilien, wo der Franziskaner-Orden sich der Armenbetreuung und der Mis sionsarbeit widmete, gewannen hingegen die afrikanischen Kult bräuche der Macumba ständig an Boden. Gleichzeitig rekrutierten die protestantischen Sekten aus USA eine wachsende Anhänger schaft. Ich hatte mich mit einem politisch stark engagierten Prior der Minoriten in dem für ihn ungewohnten luxuriösen Rahmen des Copacabana Palace zum Essen verabredet.
    Der bärtige, kraftstrotzende Franziskaner war in seiner braunen Kutte erschienen. Er entwarf ein düsteres Bild von den Irrungen seiner Kirche und des Klerus in Brasilien. Der Besuch des deut schen Papstes sei eine bittere Enttäuschung gewesen. Er habe in diesem von sexueller Vitalität strotzenden Land auf dem Verbot der Empfängnisverhütung bestanden, Keuschheit gepredigt und die Nutzung von Kondomen verboten. Im Vatikan habe man offenbar immer noch nicht begriffen, daß allein die vom Heiligen Stuhl ver worfene Befreiungstheologie der materiellen Not und der politi schen Aufbruchstimmung dieses Subkontinents gerecht würde, statt der ständigen Beschwörung des sechsten Gebots.
    In diesem März 2009 wäre ich nicht auf die Idee gekommen, abendliche Spaziergänge durch Rio de Janeiro zu unternehmen. Auch hier ist die Welt gefährlicher geworden, und das Verbrechen beherrscht den Alltag. Am Sonntagmorgen finden sich jedoch zahllose Cariocas zum Spaziergang am Strand von Copacabana und Ipanemaein. Wo sind die Zeiten geblieben, in denen der Mann einen Schlips umbinden mußte, um ins Kino gelassen zu werden? Die Menschen fallen durch abenteuerliche Aufmachung auf, doch Eleganz ist kaum anzutreffen. Hatten einst die jungen Frauen durch ihren makellosen Wuchs, ihre wilde Schönheit jeden fremden Besucher begeistert, so scheint man sich neuerdings gehenzulassen. Die Bekleidung, zumal der Weiblichkeit, ist weiterhin auf den geringsten Textilaufwand reduziert, aber unter den Hotpants und ausgeleierten Büstenhaltern kommen gewaltige Fleischmassen zum Vorschein. Offenbar legt man Wert auf Originalität. So führte eine ältere Dame – auch sie von erdrückendem Volumen – einen Hahn an der Leine spazieren, was einen Aufruhr unter den streunenden Hunden auslöste. Selbst auf den Liegen am Meer ist Schönheit zur Seltenheit geworden, und man fragt sich, wo die Traumfiguren,

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