Die Angst des wei�en Mannes
Dörfer wurden verwüstet. Die neu errichteten Hütten sind selten mit dem schönen hohen Giebel ausgestattet, der für diese Region einst typisch war. Man begnügt sich heute mit Notunterkünften. Die Reisfelder sind kaum bewirtschaftet, aber überall wachsen tropische Früchte in Hülle und Fülle. Der vulkanische Boden muß extrem fruchtbar sein.
Immer wieder tritt Jorge auf die Bremse, weil irgendein Haustier über den Weg läuft, Hühner, Enten, Ziegen und fette schwarze Schweine. In den sumpfigen Niederungen wälzen sich Herden von Wasserbüffeln im Schlamm. Wie dieses von der Natur gesegnete Land laut offizieller UNO-Darstellung an mangelnder Ernährung, ja Hungersymptomen leiden soll, läßt sich schwer erklären. Neben Malaria soll Tuberkulose weit verbreitet sein. Aber die Geburten-rate ist eine der höchsten der Welt. Jede Frau gebärt durchschnitt lich sieben Kinder. In diesem tristen Umfeld überrascht das Auf tauchen einer Schulklasse von Mädchen in blau-weißer Uniform, die diszipliniert in Zweierreihe am Straßenrand entlangspaziert.
Vergeblich habe ich nach den einst so begehrten Sandelholzbäumen, »Santalum album«, Ausschau gehalten, die dreißig Jahre brauchen, um ihre normale Höhe von zehn Metern zu erreichen. Sie sind wohl alle räuberischer Abholzung zum Opfer gefallen. Solange wir uns längs der Küste bewegen, werden wir von Kindern angehalten, die Bündel mit silbern glänzenden Fischen zum Kauf anbieten. Im Landesinnern fallen mir Männergruppen auf, die in bunt gezierten Käfigen Hähne transportieren. »Sie wandern zum Hahnenkampf in eines der umliegenden Dörfer«, kommentiert Jorge. Dieses grausame Spiel, bei dem die Tiere sich mit scharfen Metallklingen, die an den Krallen fixiert sind, gegenseitig zerfetzen, wird auf Timor, wie übrigens auch in anderen Teilen Insulin desund auf den Philippinen, mit entfesselter Leidenschaft und unter Einsatz relativ hoher Wettsummen ausgetragen. Unser Fahrer hält nicht viel von diesem Volksvergnügen. Am Ende würden die Verlierer sich mit den wenigen verbliebenen Peseten sinnlos betrinken und – in die heimische Hütte zurückgekehrt – ihre Wut und Enttäuschung durch Verprügeln ihrer Frauen abreagieren.
Das als architektonisches Kleinod der Kolonisation gepriesene Baucau erweist sich als schmucklose Ansammlung geduckter, weiß getünchter Häuser. Die menschenleeren Straßen steigen steil an und flimmern in der Mittagshitze. Die zentral gelegene katholische Kirche weist keinerlei Schmuck auf außer einer Kachel-Abbildung der Madonna von Fatima und des heiligen Antonius, um dessen Schutz auf Portugiesisch gebetet wird.
Eine wirkliche Überraschung bietet die in makellosen Bonbon farben leuchtende »Pousada Flamboyant«. Wie durch ein Wunder ist das rosa gestrichene Gasthaus aus der Verwüstung auferstanden und pflegt einen erstaunlich anspruchsvollen Stil. Die Zimmer, die ich flüchtig besichtige, sind mit allem Komfort ausgestattet. Vor allem das Restaurant der Pousada, dessen Terrasse einen weiten Rundblick erlaubt, tut sich durch fast luxuriöse Gastlichkeit hervor mit makellosen Tischdecken, elegantem Besteck und einer perfekt gestylten einheimischen Bedienung, die weiße Schürzen und Häub chen trägt. Das angebotene Menü schmeckt vorzüglich.
In der Pousada Flamboyant bin ich mit einem Gesprächspartner verabredet, der mir als Leiter des portugiesischen Informations dienstes auf Timor und als exzellenter Kenner der verworrenen po litischen Zusammenhänge empfohlen wurde. Fernando Fereira, wie wir ihn nennen wollen, ist reiner Lusitanier ohne einen Schuß melanesischen oder malaiischen Blutes. Der selbstsicher auftre tende Mann mit schwarzem Backenbart dürfte vierzig Jahre alt sein. Wir unterhalten uns auf französisch, und dadurch entsteht eine spontane lateinische Intimität. Wie die Kolonialherrschaft Lissa bons zu Ende ging und unter welchen Umständen die Soldaten des General Suharto sich der östlichen Inselhälfte bemächtigten, ist mir inzwischen ausreichend bekannt.
Mysteriöshingegen erscheinen mir die Gründe, die den Westen – es geht vor allem um die USA und die australische Regierung des Ministerpräsidenten John Howard – bewogen hatten, der Republik Indonesien ihre 27. Provinz Ost-Timor wieder zu entreißen und in Dili einen unabhängigen Staat ins Leben zu rufen.
Wir haben unsere Mahlzeit reichlich mit portugiesischem Rot wein begossen. Fernando, der anfangs recht verschlossen wirkte, setzt seine
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