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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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erst, als Habibie allen Ernstes daranging, den Aufbau einer indone sischen Flugzeugindustrie in die Wege zu leiten.
    Angesichts der Aufstandsbewegungen, die an der Nordspitze Su matras in der fanatisch islamischen Provinz Aceh, bei den Papua von West-Neuguinea und natürlich auch in Ost-Timor aufflackerten, reagierte Habibie mit Ratlosigkeit. Die Standhaftigkeit des neuen Präsidenten war dem massiven Druck, dem er sich aus Washington und Canberra ausgesetzt fühlte, nicht gewachsen. Zu Beginn des Jahres 1999 vollzog er die plötzliche Kehrtwende und erklärte sich bereit, die Einwohner von Timor-Leste unter internationaler Über wachung über ihre Unabhängigkeit oder den Verbleib bei Indo nesien abstimmen zu lassen. Vielleicht hegte er die Hoffnung, daß die dortige Bevölkerung, die von Jakarta immerhin wirtschaftlich begünstigt worden war, für den Status quo optieren würde.
    »Der Rest ist Ihnen bekannt«, nimmt Fereira seine Argumentation wieder auf. Der indonesische General Wiranto löste in der ehemaligen portugiesischen Kolonie eine Einschüchterungskampagne sondergleichen aus, mobilisierte an Ort und Stelle Schlägertrupps und lokale Milizen, die ihre Treue zu Jakarta durch systematische Verfolgung der »Independentistas« demonstrierten. Daß die drangsalierten Timoresen am 30. August 1999 sich dennoch mit 78,5 Prozent der Stimmen für die Unabhängigkeit aussprachen, traf die indonesischen Militärs wie ein harter Schlag und eine tiefe Demütigung. Jetzt ließen sie ihre Parteigänger vollends von der Leine. Die von der Armee rekrutierten Mörderbanden und Plünderer richteten eine apokalyptische Verwüstung an. Während Dili unddie meisten Dörfer in Flammen aufgingen, flüchteten 200 000 Einheimische in abgelegene Gebirgsverstecke. Für diese Methode der verbrannten Erde gibt es sogar einen indonesischen Begriff: »Prembumihangusan«.
    Im September schlug die Stunde der bewaffneten Intervention der Vereinten Nationen. Es wurde Zeit, der Raserei ein Ende zu setzen. Habibie mußte sich einer einstimmigen Resolution des Weltsicher heitsrats beugen und die Landung von fünftausend australischen »Blauhelmen« akzeptieren, die durch sechstausend Soldaten ande rer Mitgliedstaaten nach und nach ergänzt wurden. Die »Internatio nal Force for East Timor« (INTERFET) übernahm die militärische Kontrolle. Eine Übergangsadministration der UNO, UNTAET ge nannt, sollte sich drei Jahre lang vergeblich bemühen, im Namen der Demokratie ein Minimum an Ordnung wiederherzustellen.
    *
    »So lautet die offizielle Story, die Sie überall nachlesen können«, fährt Fereira fort, »aber der wirkliche Hintergrund dieses plötzli chen Sinneswandels und der überstürzten Intervention der ›Inter nationalen Völkergemeinschaft‹, wie es so schön heißt, präsentiert sich ganz anders.« Die globale Strategie spiele natürlich eine vor rangige Rolle. Die Gerüchte, wonach die US Navy an der Nord küste von Timor-Leste oder auf Atauro eine Marinebasis errichten wolle, haben sich bisher nicht bewahrheitet. Aber Marineexperten verweisen weiterhin darauf, daß die tiefen Gewässer der Savu-See und der Wetar Strait – zumal in der Perspektive eines Konfliktes mit China – eine ideale und sichere Direktpassage für amerikani sche Nuklear-U-Boote vom Pazifik zum Indischen Ozean darstel len. Selbst in harmlosen, völlig unvoreingenommenen Guide Books wird angedeutet, daß diese günstige maritime Topographie bei dem plötzlichen Eintreten Washingtons für die Unabhängig keit Timor-Lestes eine größere Rolle gespielt haben dürfte als die Beteuerung heiliger Prinzipien der Menschenrechte und der na tionalen Selbstbestimmung.
    »RatenSie, was beim Engagement Washingtons und Canberras zu Gunsten dieser Zwergrepublik den wirklichen, den entscheiden den Ausschlag gegeben hat?« fragt mein portugiesischer Mentor mit bitterem Lächeln. Die Antwort fällt nicht schwer: »C’est le pétrole – Es ist das Erdöl!« Ich sage einen Spruch auf, der – nach eigenen Erfahrungen rings um die Welt – weiterhin seine Gültig keit besitzt. So wie es zu Zeiten des britischen Empires üblich war, daß die Seeleute Ihrer Majestät den Finger in das Wasser der Ozeane tauchten mit der Bemerkung: »Tastes salty, must be Bri tish – Schmeckt salzig, muß also britisch sein«, so erhebt um die Wende zum einundzwanzigsten Jahrhundert die einzig verbliebene Supermacht USA den Anspruch: »Smells oily, must be American – Riecht nach Öl, muß also

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