Die Angst des wei�en Mannes
Etappe vollende ich meine Absicht, sämtliche Länder unseres Erdballs aufzusuchen, inklusive der diversen Inselgruppen des Pazifik. Über diese Sammler-Marotte, über die Manie, die la teinische Formel »rerum novarum cupidus« ins Geographische umzusetzen, mag sich der eine oder andere Schöngeist mokieren. Ein befreundeter chinesischer Diplomat beglückwünschte mich zu diesem Wandertrieb und zitierte den weisen Konfuzius, der dem Reisenden in fremden Ländern einen ähnlichen Rang einräumte wie dem Gebildeten, der sich dem Studium widmet.
Sehr schnell kommt ein munteres, mediterran anmutendes Ge sprächin Gang. Trotz der schwülen Hitze, die am Körper klebt, stellt sich euphorische, ausgelassene Stimmung ein. Der reichliche Alkoholgenuß trägt dazu bei, aber auch das grandiose Schauspiel des tropischen Sonnenuntergangs. Unter den timoresischen Gästen befinden sich ein ehemaliger Innenminister und ein Entwicklungsminister, der vor kurzem sein Amt quittierte.
Den Vereinten Nationen – inspiriert durch amerikanisch-austra lische Menschheitsbeglücker – war für das »nation building«, dem sie sich auch in Ost-Timor verpflichtet fühlten, nichts Besseres ein gefallen als die Einführung der parlamentarischen Demokratie und eines Mehrparteiensystems, das schnurstracks auf bürgerkriegsähn liche Zustände zusteuerte. Von der Illusion des »nation building« zum »failed state«, das hätte man spätestens seit Bagdad und Kabul wissen müssen, ist es ja nur ein Schritt.
Unsere freimütige Plauderei wendet sich zwangsläufig den blu tigen Ereignissen zu, die sich einen knappen Monat zuvor, am 11. Februar 2008, in den obersten Sphären des Staates abspielten. Die Folgen dieses absurden äquatorialen Polit-Thrillers sind zur Stunde unkalkulierbar. Die ausländischen Nachrichtendienste, die die Instabilität an diesem strategischen Schnittpunkt aufmerksam beobachten, soweit sie an deren chaotischen Auswüchsen nicht ak tiv beteiligt sind, suchen krampfhaft nach plausiblen Erklärungen.
Wie konnte es passieren, daß das Staatsoberhaupt von Timor-Leste, José Ramos-Horta, beim morgendlichen Jogging am nahen Strand seiner Residenz von ein paar Killern überfallen und durch mehrere Kugeln schwer – wie die Angreifer wohl glaubten: töd lich – verletzt wurde? Wie läßt sich erklären, daß seine Leibwäch ter von der UNO eine halbe Stunde brauchten, um ihrem promi nenten Schützling zu Hilfe zu kommen? Sogar der Zugang zum Grundstück des Staatschefs war auf Weisung irgendeiner interna tionalen Behörde für jede Form von Beistand abgeriegelt worden.
Noch seltsamer mutet eine andere Alarmmeldung an, wonach der amtierende Ministerpräsident Xanana Guzmão nur eine knappe Stunde nach dem Anschlag auf Ramos-Horta ebenfalls in einen Hinterhalt geriet. Sein Wagen wurde von Kugeln durchsiebt, aber wederder Regierungschef noch seine Bodyguards erlitten die geringste Verletzung. Der Verdacht, es habe sich um ein fingiertes, von dem Betroffenen selbst inszeniertes Attentat gehandelt, drängt sich zwingend auf.
Xanana Guzmão hatte im Dschungelkampf gegen die Indonesier große Popularität gewonnen. Er distanzierte sich gern von jenen Politikern, die ihre Befreiungskampagne aus dem sicheren Aus landsexil geführt hatten. Nach seiner Gefangennahme im Jahr 1991 blieb sein Prestige intakt. Erst nach seiner wunderbaren Errettung am 11. Februar 2008, als er den Anstifter dieses angeblichen Staats streichs allzu schnell benannte, kamen Zweifel an seiner Integrität und sogar an seinen Meriten im Kampf gegen Jakarta auf.
Der Schuldige, so ließ Guzmão verbreiten, sei ein chaotisch ver anlagter Freischärler-Kommandant namens Alfredo Alves Reinado, der sich im Frühjahr 2006 an die Spitze einer Revolte ehemaliger Mitstreiter des Unabhängigkeitskampfes gestellt hatte. Diese Ve teranen der »Liberacion«, deren Interessen Reinado vertrat, waren von der Übernahme in die neu aufgestellten Streitkräfte der Repu blik ausgeschlossen worden. Ohne Vergütung, ohne Rente und un ter skandalöser Mißachtung ihrer Verdienste wurden sie mittellos in ihre Dörfer zurückgeschickt. Die »Petisionistas«, wie sie sich nannten, fühlten sich um ihren Sieg und ihren Opfermut betrogen.
Ihr Wutausbruch war fürchterlich. Im Mai 2006 kam es in Dili und den umliegenden Ortschaften zu einer Orgie sinnloser Gewalt. Die wenigen Gebäude des jungen Inselstaates, die der Verwüstung durch die proindonesischen Milizen nach dem
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