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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Harmonie an der Bay of Is lands. Am Nachmittag ist kühler Regen über der subtropischen Landschaft niedergegangen. Dann spaltet Ranginui, der Vater des Himmels, das Gewölk. Die späte Sonne setzt dem mächtigen Fels massiv der Ahnengräber eine blasse Strahlenkrone auf. Wer in Europa von Neuseeland redet, denkt unwillkürlich an die Verfil mung des »Herrn der Ringe«. Ich muß gestehen, daß ich an dieser artifiziellen Fabel- und Gruselwelt keinen Gefallen finden kann. Das moderne Neuseeland präsentiert sich nun einmal als sehr pragmatischer Außenposten europäischer Lebensart, und die mei sten Kiwis neigen nicht zu romantischen Heilsvisionen.
    Die Maori sind mit knapper Not der Gefahr entgangen, daß ihre furchterregenden Rituale, ja ihre gesamte Kultur, zur Folklore ent arten. Die neue Bewußtseinsbildung dieser Rasse vollzieht sich nicht in den Tabuzonen ihrer Geisterwelt oder im Dickicht von »King’s Country«, wo ein paar Motorradrotten trotziger Jugend licher bewaffneten Widerstand proben. Die Wiedergeburt voll zieht sich in der scheinbaren Anonymität der Städte, in Auckland zumal, wo inzwischen fast jeder dritte Neuseeländer ansässig ist.
    Auf der Farm habe ich aufmerksam und beeindruckt einen au thentischen Kriegstanz, einen »Ha Ha«, beobachtet, den Roman ein paar Monate zuvor gefilmt hatte. Ursprünglich diente der Ha Ha dazu, vor Beginn der Schlacht dem gegnerischen Stamm oder fremden Eindringling Schrecken, ja Entsetzen einzuflößen. Der Auftritt wirkt in der Tat wie ein schrecklicher Spuk. Fast nackt tre ten die Krieger an. Über den ganzen Körper, vor allem im Gesicht, sind sie blau tätowiert. Die Männer bewegen ihre schweren Mus kelpakete in stampfendem Rhythmus, stoßen gellende Schreie aus, rollen die Augen wie Besessene, führen wuchtige Faustschläge aus und strecken dem Feind, so weit es nur geht, die Zunge heraus. Es ist Brauch geworden, sämtliche Rugby-Spiele der »All Blacks« durch diesen Kriegsgesang der Maori einzuleiten, und die weißen Spieler stimmen begeistert in die Hymne ein.
    »Ka Mate, Ka Mate – Es ist der Tod, es ist der Tod«, so beginnt der Chor. »Es ist das Leben, es ist das Leben«, heißt es dann. »Siehe denhaarigen Mann« (eine mythische Häuptlingsgestalt der Ahnenwelt), »er hat die Sonne zum Scheinen gebracht … Seite an Seite, Seite an Seite kämpfen wir – haltet die Stellung – dem Sonnenlicht entgegen – Whiti-te-ra!«
»Es ist das Jahr der Frauen«
    Auckland, im März 2008
    Seit meiner letzten Stippvisite vor dreißig Jahren hat sich die Stadt Auckland gewaltig aufgebläht, zählt 1,3 Millionen Einwohner, also weit mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung Neuseelands. Nicht alles ist an dieser urbanistischen Auswucherung gelungen. Die glitzernden Hochhäuser des Handels- und Finanzzentrums, die sich auf den sanften Hängen übereinanderstapeln, sind vorwie gend mit Glas und Aluminium verkleidet. Sie entsprechen jenem einfallslosen Aquariumstil, der auch den Umkreis des Potsdamer Platzes in Berlin kennzeichnet.
    Manches Architekturexperiment erinnert an skandinavische, zu mal finnische Vorlagen, und auch Verirrungen des deutschen Bau haus-Stils haben ihren Niederschlag gefunden. Das äußert sich vor allem an dem riesigen schneeweißen Klotz des Dizengoff-Zen trums, das die Kiwis als »Schuhkarton« bespötteln. Es ist keine fu turistische Retortenstadt entstanden, aber die wenigen bescheide nen Bauten aus der Gründerzeit, die hier nicht mehr als ein Jahrhundert zurückreicht, wirken inmitten der betonierten Nüch ternheit tröstlich und recht anheimelnd.
    An einem Sonntagabend bin ich in Auckland angekommen. Mir fallen die zahlreichen Kirchen auf, die mehrheitlich der anglikanischen Konfession angehören, obwohl die Katholiken erstaunlich zahlreich vertreten sind. Um die Frömmigkeit der weißen Neuseeländer soll es recht bescheiden bestellt sein, während die Maori in den Jahrzehnten ihres Überlebenskampfes ein synkretistisches Sek tierertumentwickelten, das immer wieder von kämpferisch auftretenden Propheten aufgestachelt wurde.
    Mein Fünfsternehotel hat sich der hypermodernen, aber recht seelenlosen Bauweise angepaßt. Es liegt direkt am Kai und soll den Eindruck eines Luxusdampfers erwecken. Das multikulturelle Ho telpersonal ist überaus beflissen, aber die Mahlzeiten, die in dieser aufs Meer gerichteten Prachtbastion serviert werden, sind von der »haute cuisine« weit entfernt, von der gewisse Reiseführer schwär men. Nur wenige

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