Die Angst des wei�en Mannes
Vormarsch befinden. In diesem Gemisch von Rassen und Kulturen hat sich spätestens seit den liberalen Sozialexperimenten der sieb ziger und achtziger Jahre eine Art Kulturrevolution vollzogen. Auf dem Campus der diversen Lehranstalten stelle ich freundliche To leranz fest, die sich auch auf die bislang mißtrauische Abkapselung der meisten Maori positiv auswirkt.
An der Spitze des autochthonen Aufbruchs, der mit einer Rück besinnung auf die eigenen Wurzeln einhergeht, profiliert sich Pro fessor Manuka Henare, dem ich in dem hufeisenförmigen Kolos salgebäude der Auckland Business School begegne. Wie die meisten Maori-Intellektuellen und Vorkämpfer selbstbewußter Emanzi pation kann Henare auf europäische Vorfahren verweisen. Seinem lockeren Auftreten und auch seinen Gesichtszügen merkt man die angelsächsische Abstammung an. Die ersten Europäer, die in Neu seeland siedelten, waren meist ohne Frauen angekommen und fan den offenbar Gefallen an den polynesischen Töchtern des Landes. Bei den führenden Maori von heute wird auch ohne jeden Komplex auf diese ethnische Mischung verwiesen, während in Australien eine solche Paarung von Weißen mit den Frauen der dortigen Aborigi nes wie eine Art Fluch empfunden wird.
Professor Henare hat es sich zum Ziel gesetzt, die jungen Maori in die Welt der Moderne zu integrieren, ihnen eine hohe professionelle Qualifizierung in »Business and Economics« zu vermitteln, gleichzeitig jedoch die eigene Tradition unantastbarer »Tabus« hochzuhalten. Dabei stützt er sich auf eine andere Eigenart, die für alleStämme unverzichtbar ist, auf die Tugend des »Mana«, auf die Respektierung der kraftvollen, quasi sakralen Persönlichkeit eines jeden einzelnen.
Ich will nicht behaupten, daß ich mich in die Mentalität dieses seltsamen Volkes am anderen Ende der Welt hineingefunden hätte. Aber die Lehrkräfte, denen ich begegne – ob sie Maori oder Kiwi sind – genießen bei ihrer multikulturellen Studentenschaft, mit der sie entspannt und heiter verkehren, beachtliches Ansehen und hohe Autorität. Bei den zahlreichen chinesischen Scholaren kommt den Dozenten zudem jener tief verankerte Respekt vor dem Magister zugute, der Bestandteil des konfuzianischen Erbes ist. Auch dem Is lam gegenüber zeigt man sich hier aufgeschlossen, wie aus einem Foto Professor Henares in brüderlicher Gemeinschaft mit zwei Ko rangelehrten aus Pakistan hervorgeht.
Der Dekan verweist mich auf die mythische Bedeutung der Jade, von der laut Maori-Glaube heilsamer Einfluß ausgeht. Im Vorbei gehen streift er mit der Hand ein besonders prächtiges Schaustück dieses grünen, edlen Gesteins. Das kurze Gedicht, das er mir auf den Weg gibt, erinnert ein wenig an den Rhythmus des Ha-Ha-Tanzes, obwohl es ganz auf Völkerversöhnung ausgerichtet ist: »He-tau-paite-tau – Das Jahr ist gut«, so beginnt das Poem, »das Jahr ist friedlich, ein Jahr voller Verheißung; es ist das Jahr der Frauen, eine Zeit für Frieden und Wachstum; suche deshalb nach der Saat, aus der das größte Wohlergehen für alle Völker erspießt – e-aora-ai-te-iwi.« Für »Völker« hat er das Maori-Wort »iwi« ge wählt, mit dem auch die einheimischen Stämme bezeichnet werden.
»Es ist das Jahr der Frauen«, so lautet die Botschaft Professor Henares, der auch als Direktor eines Instituts für »Maori and Pacific Development« fungiert. Der starken Position der Maori-Frauen werde ich gewahr, als ich die Sozialeinrichtungen besuche, die auf kulturelle und politische Entfaltung, auf zunehmende Einflußnahme ihrer Rasse hinwirken. Die Amtsstube von Dame Georgina Kirby ist recht bescheiden. Ein paar junge Maori-Mädchen arbeiten der selbstbewußten, etwa siebzigjährigen Frau zu. Ihr Profil wirkt beinahe indianisch, und die Hautfarbe ist ziemlich hell. An denWänden der Organisation sind Nachbildungen klassischer Maori-Skulpturen aufgestellt.
Aber diese Dekoration reicht bei weitem nicht an die prächtigen, grell bemalten Holzskulpturen des offiziellen Museums heran, das im Stil eines kolonialen Regierungspalastes mit mächtigem Säulen portal auf dem grünen Hügel des Stadtteils Parnell erbaut wurde. In der auf Touristenbesuch angelegten Ausstellung beeindruckt die gewaltige Dimension eines Kriegskanus, eines jener offenen Boote, auf denen die ersten Maori-Einwanderer Meeresstrecken von mehr als tausend Kilometern überwanden. Um ethnische Originalität vorzutäuschen, werden die Exponate des Museums von kräftigen jungen Maori
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