Die Angst des wei�en Mannes
Gäste sind im Restaurant zugegen.
Mir fällt ein Hochzeitspaar auf, das in trauter Zweisamkeit seinen Champagner genießt. Sie haben die Festgesellschaft wohl schon ab geschüttelt und schicken sich an, sich zum Lift zu begeben, der sie zu ihrer Suite bringen wird. Die Braut, ganz in Weiß gekleidet, mit einem schlichten Kranz auf dem Kopf und stark dekolletiert, ist eine junge, blauäugige Blondine typisch britischer Abstammung. Ihr ele gant, ganz in Schwarz gekleideter Ehemann hingegen ist ein dun kelhäutiger Polynesier. Rassenvorurteile, so stelle ich fest, gibt es hier offenbar nicht.
In den Kneipen und Gaststätten der nahen Umgebung herrscht keine überschäumende Stimmung. Von sündhafter Ausschweifung kann in Auckland auch nach dem Verzicht auf die angestammte Prüderie nicht die Rede sein. Die Schwulen-und-Lesben-Gemeinde, die im sogenannten »Pride Center« über einen exklusiven Treff punkt verfügt, veröffentlicht eigene Zeitschriften von beachtlicher Auflage und veranstaltet jedes Jahr ein »Homo-Festival«. Diese Vereinigung von Homosexuellen verhält sich wie ein wohlorgani sierter, banaler Verein und gehört zur lokalen Normalität.
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne, und Auckland bewegt sich in einem quirligen Rhythmus, wirkt beinahe heiter und stellenweise schön dank der zahlreichen Grün- und Parkanlagen. Ich lasse mich in der Menge treiben und bin überrascht, in welchem Ausmaß das ethnische Nebeneinander und die Verschmelzung der Rassen – Weiße, Ozeanier, Asiaten – die konservative Vorstellung eines »White New Zealand« bereits verdrängt hat. Auckland zeichnet sich als Schmelztiegel aus, und der Anteil der Einwohner nicht europäischerHerkunft wird bereits auf die Hälfte geschätzt. Helen Clark betonte bei jeder Gelegenheit, daß in ihrem Staat jeder Dritte von farbigen Eltern abstamme.
Mein Interesse gilt vor allem den Maori, deren politische Reprä sentanten längst nicht mehr in den ländlichen Dorfgemeinschaften, den »Pa«, anzutreffen sind, sondern sich in den städtischen Büros ihrer Vereine und Parteien um die Erweiterung ihres Einflusses bemühen. Immerhin bilden sie fünfzehn Prozent der Gesamtbevöl kerung, und ihre Führer sind sich voll bewußt, daß es einer zielstre bigen Bildungsarbeit bei der Jugend bedarf, um die offiziell kon zedierte politische Gleichberechtigung zur gesellschaftlichen und beruflichen Egalität mit den Pakeha auszubauen.
Auch die Regierungsübernahme durch die Konservative Partei des Aufsteigers John Key dürfte daran nichts ändern. Er will allen falls die jährliche Einwanderungsquote Neuseelands, die sich auf 50 000 beziffert, reduzieren und mit dem Programm »Kiwis first« jene zahlreichen Neuseeländer zur Heimkehr ermutigen, die auf grund höherer Gehälter und besserer beruflicher Chancen scharen weise ins benachbarte Australien ausgewandert sind.
Die Maori ihrerseits begünstigen die Niederlassung von polyne sischen Neubürgern, die, aus dem ganzen pazifischen Raum kom mend, die Reise in das Land der langen, weißen Wolken antreten. Am dynamischsten erweisen sich wieder einmal die Chinesen aus Taiwan und zunehmend aus der kontinentalen Volksrepublik, die, mit beachtlichem Kapital ausgestattet, neben der Neugründung von Betrieben auch den Erwerb ausgedehnter Immobilien anstre ben. Die Situation Neuseelands ist gekennzeichnet durch das wei terhin enge Verhältnis zu Australien, aber auch durch tiefgreifende demographische Umschichtungen, die in Auckland besonders ins Auge fallen. »Wir werden immer asiatischer und immer pazifi scher«, registrieren die Immigrationsbehörden und stellen sich auf eine gründliche Anpassung ein.
Aus der Ferne betrachtet, befindet sich Neuseeland als Ganzes im Zustand der Überalterung, zumindest was die Pakeha betrifft. So mancher britische Rentner würde sich wohl fühlen in dieser grünenLandschaft, die mit Cottages übersät ist. Doch Auckland – im Gegensatz zur offiziellen Hauptstadt Wellington – ist durch Jugendlichkeit geprägt. Die Stadt ist zum Anziehungspunkt für junge, ehrgeizige Asiaten geworden, die unweit ihrer eigenen Küsten Gelegenheit finden, sich mit der angelsächsischen Mentalität sowie mit einer auf Globalisierung ausgerichteten Technologie und Geschäftspraxis vertraut zu machen.
Im Umkreis der großzügig angelegten Hochschulen, ihrer hyper modernen Einrichtungen gewinnt man den Eindruck, daß die jun gen, zielstrebigen Enkel Mao Zedongs sich unaufhaltsam auf dem
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