Die Angst des wei�en Mannes
bewacht. Diese »Krieger« sind nur mit einem Len denschurz bekleidet, bewegen sich barfuß und halten einen Speer in der Hand. Sie scheinen sich bewußt zu sein, daß man ihnen hier die Rolle von exotischen Statisten zugewiesen hat.
Ganz anders geht es bei Dame Georgina Kirby zu, deren Fami lie wohl schon zur Zeit der britischen Kolonisation zu Ehren ge kommen war. Trotz ihres Alters strahlt Georgina geballte Energie aus. Sie verweist darauf, daß sie teilweise deutscher Abstammung sei, was ihr Engagement für die politischen und wirtschaftlichen Ansprüche des Maori-Volkes in keiner Weise beeinträchtigt. Der Zukunft ihrer Rasse sieht sie mit Optimismus entgegen und rühmt sich, mit den Computern ihrer Einrichtung besser umgehen zu können als die meisten jungen Pakeha. Zum Abschied geleitet mich die würdige Dame bis auf die Straße und küßt mich auf beide Wan gen, eine spontane Vertraulichkeit, die mir auch bei anderen Maori-Frauen auffallen sollte.
Ähnlich herzlich ist mein Gespräch mit Pauline Kingl, deren rotes Haar auf irische Vorfahren hindeutet. Die schwergewichtige Frau, deren Aktivität der Koordination der diversen Maori-Parteiflügel und Jugendverbände gewidmet ist, hat in Harvard und Oxford studiert. Vor meinem Eintreffen in ihrem Institut hat sie sich per Internet über meine Person kundig gemacht. Sie war sogar über meine kurze Gefangenschaft beim Vietcong informiert. Vermutlich haben die weiblichen Angehörigen dieses Volkes schon von Anfang aneine beachtliche Autorität ausgeübt. Im zeitgenössischen Neuseeland, das sich unter Helen Clark dem militanten, ja dominanten Feminismus verschrieben hat, scheint diese Entwicklung auch auf die Ureinwohner übergegriffen zu haben.
Noch unlängst hatte Dame Te Atairangikaahn, »der Falke des Morgenlichts«, wie sie von ihrem Volk genannt wurde, als Maori-Königin eine erhebliche Autorität ausgeübt. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2006 gelang es ihr, die ererbten Stammesfeindschaften mit viel Klugheit zu überbrücken. Das Gespräch mit Pauline Kingl, das auch die heikelsten Fragen und die längst nicht überwundene ge sellschaftliche Unterordnung der Maori nicht ausspart, verläuft er staunlich offenherzig.
»Wir sind betrogen worden«
Der Fahrer James, den mir die Hoteldirektion empfohlen hat, ist ein älterer Kiwi in Reinkultur, das heißt, er verkörpert auf beschei dener Ebene all jene Tugenden und verläßlichen Eigenschaften, die das britische Empire einmal groß gemacht haben. Die Zukunft Neuseelands sieht James mit Gelassenheit. Über die zunehmende Asiatisierung Aucklands kann er präzise Auskunft geben. Gerade mal fünfzig Prozent der Bevölkerung dieses Hafens sind europäi schen Ursprungs. Die Maori sind hier nur mit ungefähr zehn Pro zent vertreten. Die Inder werden auf fünf Prozent geschätzt, die Chinesen dürften sich der Zehnprozentgrenze nähern, während die Insulaner aus der fernen, ehemals deutschen Insel Samoa sechs Prozent der Zuwanderer ausmachen. Dazu kommt eine Vielzahl anderer Ethnien aus dem pazifisch-südostasiatischen Raum, die sich insgesamt auf fünfzehn Prozent beziffern.
Seine beiden Söhne hätten die Chance wahrgenommen, in Australien bessere berufliche Chancen zu nutzen, meint der Fahrer, der dem Kunterbunt der Rassen in seiner Umgebung mit Toleranz begegnet.Er schlägt vor, mich zu einer der Sehenswürdigkeiten Aucklands, zum Sky Tower, zu begleiten, wo die Besucher in einem Lift binnen vierzig Sekunden auf die Aussichtsplattform in 328 Meter Höhe katapultiert werden. Die Stadtverwaltung rühmt sich, mit dem Sky Tower die höchste Konstruktion der südlichen Hemisphäre hochgezogen zu haben. Ich lehne die Besichtigung ab und verweise darauf, daß man diese babylonische Sucht, den Himmel zu erklimmen, den protzigen Erdölscheichs der Golfemirate überlassen sollte, die gar nicht zu ahnen scheinen, daß sie mit ihren gotteslästerlichen Monsterkonstruktionen am Ende den Zorn Allahs herausfordern werden.
In den mir verbleibenden Tagen suche ich eine Anzahl von arri vierten Maori auf, die in soignierten Büros die Schwelle zum ge schäftlichen Erfolg oder zu administrativer Kompetenz beschritten haben und denen bei aller Beharrung ihrer polynesischen Identität eine perfekte Anpassung an den westlichen Lebensstil gelungen ist.
Das ethnische Sammelbecken Auckland hat auch seine Schatten seiten. Ich lasse mich zu dem Bezirk Otara fahren, der als Elends viertel, als Siedlung von Asozialen gilt. Migranten von allen
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