Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
Art Held in den Augen der Latino-Gemeinde der Stadt, die nur allzu oft das Gefühl hatte, von der Justiz und den Strafverfolgungsbehörden diskriminiert zu werden. Seine Ambitionen auf staatlicher Ebene waren vermutlich für immer zunichte. Denn egal, wie eine Anklage wegen diverser Schwerverbrechen ausgeht, ein solcher Makel bleibt für immer an einem haften. Auf lokaler Ebene jedoch, wo Hector auf seine treue Wählerschaft zählen konnte, nährte er unzweifelhaft neue Hoffnungen. So war eine neuerliche Kandidatur für den Senat durchaus vorstellbar. Möglicherweise auch für den Stadtrat. Ja, vielleicht sogar eine Wahl zum ersten Latino-Bürgermeister der Stadt?
»Sie schreiben nie, Sie rufen nie an.« Er schenkte mir ein warmes Lächeln, während der Kellner unsere Wassergläser füllte. Kein wirklich zündender Scherz, aber trotzdem eine nette Geste. Ich hatte immer schon gemischte Gefühle gehabt, was Hector betraf. Auch wenn er es selbst nie direkt zugegeben hatte, war ich mir relativ sicher, dass Hector die Columbus Street Cannibals eingespannt hatte, um – vorsichtig ausgedrückt – mehr Einfluss auf die Wähler auszuüben. Vor meiner Begegnung mit Ernesto Ramirez war ich außerdem davon ausgegangen, dass die Columbus Street Cannibals Adalbert Wozniak erschossen hatten, auch wenn Hector in meinen Augen keine unmittelbare Schuld daran traf. Es schien mir einfach nicht sein Stil zu sein; Paul und ich vermuteten, dass die Cannibals die Sache letztlich selbst in die Hand genommen hatten. Unterm Strich hatte Hector Almundo wohl den gesteigerten
Appetit eines Politikers auf Geld und Macht, aber das stempelte ihn nicht gleich für alle Ewigkeit zum Bösewicht ab. Für mich bestand die Welt nicht nur aus Schwarz und Weiß. Außerdem ist da irgendetwas an der Aufgabe eines Anwalts, das eine Art Beschützerinstinkt für den Klienten weckt. Meine Rolle war es, auf seiner Seite zu stehen, und dem ordneten sich die übrigen Gefühle einfach unter.
»Mir geht’s bestens«, erwiderte ich, wobei meine Antwort möglichst knapp ausfiel, um anzudeuten, dass ich an weiteren Ausführungen nicht interessiert war. »Und wie läuft’s bei Ihnen so in letzter Zeit?« Meine Rückfrage sollte diese Absicht noch verdeutlichen.
Ganz offensichtlich lief es gar nicht schlecht. Er hatte schon immer eine Vorliebe für auffällige Kleidung gehabt, und heute trug er zu einem grauen Anzug ein fliederfarbenes Hemd und eine von einer Krawattennadel gehaltene Krawatte, die nur eine Spur dunkler war als das Hemd. Ich habe diese ganze Ton-in-Ton-Mode nie richtig verstanden.
»Ich bin jetzt stellvertretender Direktor im Amt für Wirtschaft und Gemeinwohl«, verkündete er.
Ich hatte keine Ahnung, um was es sich dabei handelte, war allerdings keineswegs überrascht, dass sich Hector wieder irgendeinen bürokratischen Posten gesichert hatte.
»Das Amt gehört zur Landesregierung«, erläuterte er. »Gouverneur Snow hat mich auf den Posten berufen.«
Carlton Snow war nun schon ein Jahr unser Gouverneur. Sein Vorgänger, Langdon Trotter, war aus dem Amt geschieden, als man ihn zum US-Justizminister befördert hatte. Anders als Trotter war Snow Demokrat; in unserem Staat wird der Stellvertreter des Gouverneurs separat gewählt, und in unserer typischen politischen Schizophrenie hatten wir den
Gouverneur und seinen Stellvertreter aus unterschiedlichen Parteien gewählt. Als Trotter seine Aufgabe auf Bundesebene übernahm, wurde Snow bis zum Ende der Amtsperiode automatisch sein Nachfolger.
»Sie wissen ja«, fuhr Hector fort, »dass ich Ihnen ein solches Angebot niemals unterbreitet hätte, solange Sie noch bei Shaker und Riley waren. Aber jetzt, wo Sie selbstständig und auf sich allein gestellt sind, wollte ich Ihnen sagen – in der Landesregierung werden immer Anwälte gebraucht. Ich könnte Ihnen jederzeit einen Posten verschaffen, wenn Sie wollen.«
Genau. Ich stellte mir einen Typen in kurzärmligem Hemd und Polyesterkrawatte vor, der irgendeinen Antrag ablehnte, nur weil jemand vergessen hatte, ein bestimmtes Kästchen anzukreuzen, wo doch die Bestimmungen ausdrücklich besagten, dass ein Antrag nicht bearbeitet werden konnte, sofern nicht alle Felder ordnungsgemäß ausgefüllt waren.
Hector schien amüsiert. »Sie können natürlich selbstständig bleiben«, erklärte er. »Der Staat wäre einfach nur ein weiterer Klient. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viel externe Anwaltsfirmen die Landesverwaltung beschäftigt?«, fragte
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