Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
Schulter.«
Er nickte. Ich hatte seine Frage jedoch nur teilweise beantwortet.
»Aber wissen Sie was?«, fuhr ich fort. »Die Klienten stehen nicht unbedingt Schlange, wenn man nicht mit Paul Riley und solchen Leuten zusammenarbeitet. Die wollen alle jemanden mit grauen Schläfen. Sie verlangen Erfahrung. Also dachte ich mir, ich erweitere mein Tätigkeitsfeld ein bisschen. Knüpfe ein paar Verbindungen, treffe die richtigen Leute, zeige ihnen, was ich so draufhabe. Und ich wette, wenn ich die Gelegenheit kriege, meine Fähigkeiten zu entfalten, wird man auf mich aufmerksam. Vielleicht hab ich dann eines Tages auch so einen von diesen 911ern in der Garage stehen.«
Ich fütterte ihn mit Informationen ganz nach seinem Geschmack. Schließlich hatte er genauso begonnen, vermutlich nachdem er selbst irgendwo Angestellter gewesen war. Meine Anwaltsfirma war natürlich ein Witz im Vergleich zu Ciriaco Properties, aber die Grundidee war dieselbe: Arbeite hart und
sorge dafür, dass dein Verdienst in die eigene Tasche wandert und nicht in die des Kerls über dir. Auf die Art musste ich mir von niemandem Vorschriften machen lassen. Ich konnte so viel arbeiten, wie ich wollte. Und inzwischen konnte ich es mir auch kaum noch anders vorstellen. Es würde sich anfühlen wie eine kleine Niederlage, wieder für jemand anderen arbeiten zu müssen.
»Haben Sie Familie?«, fragte er.
»Meine Mutter ist vor ein paar Jahren an Krebs gestorben. Mein Vater sitzt im Gefängnis.«
»Weswegen?«
Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass Cimino all das bereits wusste. »Betrug«, sagte ich. »Er ist ein Trickbetrüger. Ein Hochstapler. Und ein schlechter noch dazu. Ein Säufer.«
»Kommen Sie gut mit ihm klar?«
»Nein.«
»Warum nicht? Hat er Ihr moralisches Feingefühl verletzt?«
Das hatte er tatsächlich. Ich hatte mich immer für den »Beruf« meines Vaters geschämt und irgendwann seine eigene Lüge – er würde als »Handlungsreisender« arbeiten – gegenüber jedem in der Schule wiederholt; ich war es rasch müde gewesen, sein Verhalten vor mir selbst zu rechtfertigen. Aber vermutlich hatte es wenig Zweck, Cimino meinen Sinn für moralischen Anstand zu offenbaren. Das war keine Qualifikation, die in diesem Job gefordert war.
»Nein, daran lag’s nicht.« Ich nahm einen Schluck Orangensaft. »Ich hatte vor allem zwei Probleme mit ihm. Erstens, er war nicht gut in dem, was er tat. Er war faul. Wollen Sie wissen, wie er das erste Mal geschnappt wurde? Er hat irgendeinen alten Kerl mit einer getürkten Geschäftsbeteiligung über den Tisch gezogen, erhielt eine stattliche Anzahlung
von ihm, aber dann stellte sich heraus, dass der Bruder des Typen früher beim FBI gewesen war. Also setzte der Bruder das FBI auf meinen Alten an, und es hat keine zwei Tage gedauert, bis sie ihn geschnappt hatten. Er war zu faul gewesen, sein Opfer vorher genau auszukundschaften.«
Cimino schien das interessant zu finden, vielleicht sogar überraschend. »Und was war der andere Grund?«, fragte er. »Sie sprachen von zwei Dingen.«
»Das Schlimmste an der Sache war, dass er sich nicht um uns gekümmert hat. Er hat nicht für uns gesorgt. Wir waren bettelarm, trotzdem versoff er die Hälfte seiner Beute. Er ließ meine Mutter links liegen und prügelte mich und meinen Bruder. Wissen Sie, die Schläge hätte ich ausgehalten, wenn er wenigstens das Essen auf den Tisch gebracht hätte. Und wenn er anständig zu Mutter gewesen wäre. Aber wer sich nicht um seine Familie kümmert, ist in meinen Augen nichts wert.«
Dieser Teil kam wirklich von Herzen, auch wenn ich ihm unter normalen Umständen natürlich niemals etwas davon offenbart hätte. Ich versuchte, ein Bild für Cimino zu entwerfen, das ihn vor allem an sich selbst erinnerte. Ich wusste nicht das Geringste über Ciminos Leben, aber aufgrund seines Eherings nahm ich an, dass er verheiratet war und vermutlich auch Kinder hatte. Und typischerweise reden sich solche Kerle immer ein, dass sie es für ihre Familie tun. Sie benutzen ihre familiären Verpflichtungen und ihre Vergangenheit – problematische Kindheit, soziale Ungerechtigkeit –, um damit ihr kriminelles Verhalten zu rechtfertigen. Sie lassen auf ihrer inneren Bühne alle möglichen Figuren auftreten, aber der Schurke, das sind niemals sie.
Auf seinen Wunsch hin führte ich die ganze Geschichte noch weiter aus, erzählte ihm von meinem Bruder Pete, der
immer noch versuchte, sein Leben in den Griff zu kriegen. Dann streiften wir
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