Die Ankunft
Marineober…«
»Hans.«
Becker lächelte. »Jonas.« Er reichte Neumann die Hand, die dieser beiläufig ergriff und schüttelte.
»Es gibt nichts, wofür du dich bedanken musst«, sagte der Arzt dann. »Männer wie von Klasewitz sind ein Problem für die ganze Flotte. Sie halten sich selbst für die Größten, schinden die Mannschaften, halten Unteroffiziere für ihre persönlichen Sklaven, sehen auf die Marineingenieure herab und meinen, ihre Herkunft allein würde ihnen jedes Recht geben, auf anderen herumzutrampeln. Klasewitz ist ein klassisches Beispiel für den Zivilversager, den es leider in die Flotte verschlagen hat, weil unsere Allerhöchste Majestät den Adel für den bevorzugten Ersatz hält und dieser daher bei der Rekrutierung Vorzug erhält. Und Tirpitz unterschreibt dies, ohne nachzufragen.«
»Tirpitz hat seine Stärken und seine Schwächen«, sagte Rheinberg und sog den angenehmen Duft seiner Zigarre ein. »Zu seinen Schwächen gehört, dass er es für gut hält, innerhalb des Offizierscorps verschiedene Schichten zu zementieren. Männer wie Dahms haben eine längere und schwierigere Ausbildung erhalten als ich, trotzdem werden ihm und seinen Kameraden zentrale Privilegien vorenthalten. Was für ein Kampf war es, bis es den Marineingenieuren gestattet wurde, den Säbel zu tragen! Das ist, mit Verlaub, albern.«
Neumann nickte schweigend. Becker wollte und konnte zu den delikaten Mechanismen der Marinepolitik nichts sagen.
»Wenn es zum Krieg kommt, Jonas, wie schätzt du die Chancen deiner Männer ein?«, fragte Rheinberg schließlich. Becker seufzte daraufhin bloß.
»Schlecht. Gar nicht mal so gegen die Eingeborenen, obgleich ich absolut der Meinung bin, dass sie die Gelegenheit nutzen würden, wenn sie sich ihnen bietet. Ich erinnere mal an den Herero-Aufstand in Südwest. Das war eine eklige Angelegenheit. Ein Gemetzel. Ich will ehrlich sagen, dass ich nie verstanden habe, was uns der Platz an der Sonne wirklich bringen soll. Das ist doch Geldverschwendung. Die Kolonien werden über kurz oder lang zu einer Belastung werden.«
Becker befand sich auf dünnem Eis, und er wusste das. Politische Diskussionen unter Offizieren wurden nicht gern gesehen. Ein schneller Blick in die Gesichter Rheinbergs und Neumanns zeigte ihm allerdings, dass er mit seiner Meinung keinesfalls auf völliges Unverständnis stieß.
»Aber um deine Frage zu beantworten: Die Franzosen und die Briten haben weitaus größere Kolonialtruppen und befinden sich in einer strategisch günstigen Situation. Unsere Kolonien sind über den Kontinent verstreut. Kommt es zum Krieg, werden wir ihn in Afrika verlieren, daran besteht für mich kein Zweifel.«
Erneut nur bestätigende Blicke. Neumann und Rheinberg teilten diese Einschätzung. Ein Krieg wäre für Becker individuell genauso fatal wie für die Besatzung der Saarbrücken: Gefangenschaft oder Tod. Und im Gegensatz zum Kreuzer hatte Becker nicht einmal die entfernte Hoffnung, nach Hause durchbrechen und fliehen zu können. Ein weiterer Punkt, den jemand wie von Klasewitz nicht bedenken würde.
»Wir holen dich wieder ab, wenn der Krieg vorbei ist«, erklärte Rheinberg und legte Becker eine Hand auf die Schulter. »Sorge nur dafür, dass der Franzose dich nicht zu fassen bekommt.«
»Ich werde mein Bestes tun«, erwiderte der Infanterist leichthin, doch aus seiner Stimme war die stille Sorge herauszuhören, dass dies möglicherweise nicht genug sein würde.
Die drei Männer wechselten keine Worte mehr, bis die Zigarren bloß noch glimmende Stümpfe waren, die in hohem Bogen in die See flogen. Portugal lag vor ihnen, und danach Douala.
3
Es begann am frühen Morgen, als die Saarbrücken in eine Nebelbank von beeindruckender Dichte fuhr. Das sprichwörtliche »die Hand vor Augen nicht sehen« realisierte sich in einer Form, die Becker bisher nicht begegnet war. Keinen Meter betrug die Sichtweite – die Besatzungsmitglieder auf Deck mussten praktisch blind agieren – und eine unnatürliche, beunruhigende Stille senkte sich über den Kreuzer. Von Krautz befahl kleine Fahrt und ließ regelmäßig Nebelhorn wie Schiffsglocke von der Existenz des sich langsam auf die portugiesische Küste zuschiebenden Schiffes künden. An den Gesichtern der beiden Seeoffiziere erkannte Becker, dass auch ihnen solch ein mörderisch dichter Nebel in ihrer bisherigen Laufbahn höchstens selten begegnet war – wenn überhaupt.
Schließlich, als die Sonne voll aufging – was man lediglich an der
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