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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Den Boom
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in die tanzenden Wellen. Er hätte eigentlich lieber darauf achten sollen, was sein zwölfjähriger Sohn Marcellus am Heck des kleinen Fischerbootes trieb, denn sicher hatte der anderes im Sinn, als das Netz zu kontrollieren, das der Einmaster bei sanfter Brise träge hinter sich herzog. Marcus hatte jedoch andere Sorgen. Aufgrund der ungünstigen Wetterbedingungen war das Fischen vor der italischen Westküste zunehmend schwierig geworden und erst letzte Woche hatte ihm sein Bruder Drusus einen Brief geschrieben, in dem er ihn erneut gebeten hatte, doch endlich zu ihm nach Sizilien überzusiedeln. Drusus hatte es gut getroffen: eine reiche Frau geheiratet, viele Söhne gezeugt und eine Flottille von dreißig Fischerbooten geerbt, die nur für ihn arbeitete. Marcus war in der Nähe Roms geblieben, hatte eine einfache, aber hart arbeitende und liebevolle Frau geheiratet, und er nannte bloß einen Sohn sein Eigen, Marcellus eben, und für ihn und seine Zukunft schuftete er. Drusus bot Marcus schon lange an, in sein Geschäft einzusteigen, als Chef der kleinen Fischereiflotte, und Marcellus könne dann rasch sein eigenes Boot bekommen. Allerdings war Sizilien schon relativ weit weg von Rom und noch weiter fort von Ravenna. Marcus hatte für seinen Sohn große Pläne, und diese Pläne gingen über das Kommando über ein Fischerboot hinaus. Er selbst konnte lesen und schreiben und hatte dies seinem Sohn in mühevoller Arbeit beigebracht, und dieses Jahr hatte er erstmals genug gespart, um ihn auf die Rhetorikschule zu schicken, zumindest für ein Jahr. Wer weiß, sollte Marcellus sich als talentiert erweisen, konnte er vielleicht ein Stipendium erlangen, entweder von Marcus' Patron, dem Senator Virilius, oder eines von Drusus. Dann würde er sogar auf die Vorschläge seines Bruders eingehen und Marcellus in die Obhut seiner Schwester nach Rom geben – wenn nur sein einziger Sohn dem Elend der Fischerei entkommen und etwas aus sich machen konnte. Mit etwas Geld konnte man zudem dafür sorgen, dass die gesetzliche Verpflichtung, dass ein Sohn den Beruf des Vaters zu ergreifen habe, weniger streng gehandhabt wurde. Seine Frau, Emilia, unterstützte ihn, und dafür war er dankbarer als für Drusus' ständiges Drängen. Marcus ahnte ja, was hinter dem scheinbar großzügigen Angebot steckte: Drusus, der fett und faul geworden war und seit Jahren kein Ruder mehr in der Hand gehalten hatte, wollte jemanden haben, der ihm den Papierkram vom Hals hielt, sich mit den Bootspächtern herumschlug, den Verkauf auf dem Markt organisierte, dafür sorgte, dass die notwendigen Ausbesserungsarbeiten durchgeführt wurden, und so weiter – damit Drusus selbst sich endgültig auf die kleine Latifundie zurückziehen konnte, die er sich gekauft hatte, um dem Wein und, bei Abwesenheit seiner gestrengen Gattin, den Sklavinnen zu frönen.
Marcus liebte seinen Bruder, er war neben seiner Schwester Letitia das einzige der ehemals acht Geschwister, das noch lebte, und sie waren nur drei Brüder gewesen. Arcellus war zur Legion gegangen und hatte es bis zum Dekurio geschafft, gebracht, doch er war in Germanien gegen die Barbaren gefallen – drei Jahre war das schon her. Trotzdem Marcus ein gläubiger Christ war, betete er an jedem Geburtstag des Arcellus heimlich zu den Ahnen und bat sie, dem toten Dekurio gnädig zu sein. Arcellus hatte ihn und Drusus in ihrer Jugend immer beschützt, und obgleich Marcus mittlerweile selbst knapp über dreißig war, sehnte er sich manchmal danach zurück. Insbesondere dann, wenn es wieder an allem mangelte.
Nein, Marcellus würde es so nicht ergehen. Eine Stelle als Schreiber vielleicht, bei einem Senator. Oder als Berater. Er konnte einen Patron preisen und Elogen verfassen oder gerne als Helfer eines Curators oder Censors arbeiten – eine Stelle in der kaiserlichen Verwaltung, so niedrig sie sein mochte, war ein besserer Ort, um sich sein Einkommen zu schaffen, als auf einem maroden Boot über die Wellen des Mare Internum zu segeln und beständig weniger Fisch zu fangen. Oder als Bootspächter für einen Lebemann wie Drusus die Drecksarbeit zu machen. Marcus liebte Drusus, aber er wusste auch, was aus den großartigen Angeboten werden würde, wenn sein Sohn doch nach Höherem streben würde – Drusus war ohne Zweifel eine Sackgasse und er suchte lediglich nach jemandem, der ihm Arbeit abnahm.
Nein, nicht sein einziger Sohn.
Seine Aufmerksamkeit richtete sich nun vollends auf den Zwölfjährigen, der die Gedanken

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