Die Ankunft
mittlerweile ein recht steifer Wind – das können wir so nicht ewig machen.«
Wie zur Bestätigung neigte sich die Saarbrücken etwas und alle hielten automatisch ihre Becher fest.
»Auch in diesem Punkt ist es von Vorteil, wenn wir mit dem Römischen Reich zusammenarbeiten, anstatt gegen es. Wenn wir von der römischen Flotte Berichte erhalten, wo sich ein ähnliches Phänomen ereignet, können wir gezielt suchen. So stochern wir im Dunkeln.«
»Was sind also unsere nächsten Schritte?«
Rheinberg kratzte sich am Kopf. Er wusste, dass dies die entscheidende Frage war, und für ihn gab es darauf nur eine mögliche Antwort.
»Wir nehmen Kurs auf den nächsten Hafen – das dürfte Ravenna sein – und bringen unsere Kriegsgefangenen zurück. Wir nehmen Kontakt mit der Regierung auf. Wir beweisen unseren Wert.«
»Wir tun was?«
»Wir müssen uns beweisen. Valens wird fallen. Er wird tot sein, ehe wir etwas ausrichten können. Gratian wird aus Verzweiflung Theodosius zum Kaiser des Ostens machen und der wird der letzte gesamtrömische Kaiser sein, denn Gratian wird ebenfalls bald sterben, Opfer eines Usurpators. Das müssen wir verhindern. Tatsächlich müssen wir Theodosius verhindern, wenn wir das Römische Reich retten wollen. Er mag eine legendäre Gestalt gewesen sein, aber er hat zu viele Fehler gemacht.«
Rheinberg sah sich um, blickte auf Gesichter voller Unverständnis.
»Meine Herren, Rom steht vor einer verzweifelten Situation. Das Volk wird mit horrenden Steuern ausgepresst, um die Armee am Leben zu erhalten. Es gibt einen massiven Arbeitskräftemangel. Das Reich ist an vier, fünf Grenzen gleichzeitig bedroht. Ein Bürgerkrieg steht bevor. Die Kirchenspaltung und der Fanatismus der Bischöfe konsumieren viele Energien, die das Reich auf weitaus dringendere Aufgaben konzentrieren sollte.«
Der Kapitän hielt inne. Die meisten der Offiziere betrachteten ihn mit höflichem Interesse. Ihm wurde plötzlich klar, dass diese »Details« die wenigsten hier interessierten. Sie erwarteten, dass Rheinberg ihr Leben und das Schiff funktionsfähig erhielt. Dafür war Politik notwendig, eine Revolution, ein Machtkampf ? Das war der Job des Kapitäns.
Rheinberg schloss den Mund. Seine Blicke kreuzten sich mit denen Beckers und Neumanns. Hier waren die einzigen Männer an diesem Tisch, mit denen er möglicherweise die politischen und wirtschaftlichen Folgen ihrer Entscheidung besprechen konnte. Mehr war nicht zu erwarten.
Der Kapitän spürte das große Verlangen, sich in seine Bücher zu vertiefen. Er musste mehr über diese Zeit in Erfahrung bringen, seine Erinnerungen wachrufen. Die Bürde der Verantwortung lastete nun schwer auf seinen Schultern, wo er ahnte, welche Umwälzungen er auslösen würde, wenn er sich dem Römischen Reich verschrieb. Wenn er Geschichte machte. Geschichte änderte.
Rheinberg erhob sich.
»Kurs auf Ravenna«, sagte er leise. »Kleine Kraft voraus. Ich bin in meiner Kabine. Doppelte Mannschaft am Ausguck. Ich will, dass ständig zwei Mann mit Ferngläsern bereitstehen. Und sofortige Gefechtsbereitschaft, wenn etwas zu sehen ist. Ach ja … und kein Schuss ohne meinen ausdrücklichen Befehl. Ich erwarte absolute Disziplin.«
Er sah sich um. Kein Zweifel in den Augen, kein Widerspruch. Selbst von Klasewitz schien für den Moment zufrieden.
So weit, so gut.
9
Es war warm an diesem Morgen und sonnig. Gratian blickte vom Rücken seines Pferdes auf die Truppen, die die Ebene vor ihm füllten. Das Zentrum der römischen Legionen, nach Kohorten organisiert, hatte eine grob rechteckige Fläche in der Mitte eingenommen. Die Linien waren wie mit dem Lineal gezeichnet. Offiziere ritten die Fronten entlang, brüllten Befehle, wo eine Einheit noch nicht hundertprozentig in der Formation stand. Das Zentrum enthielt die Elitetruppen des römischen Westens, die comitatenses, schnelle, bewegliche Legionen des Feldheeres. Ergänzt waren diese durch die in Reichweite stehenden Kontingente der limitanei, der Grenztruppen. Gratian war sich der Tatsache schmerzhaft bewusst, dass er für jede neue Kampagne, die er gegen einfallende Barbaren führte, weitere Truppen von den Garnisonen abziehen musste, um den hohen Blutzoll der sich ewig wiederholenden Schlachten auszugleichen. Eines Tages würde das sorgsam geplante und elaborierte Grenzsicherungssystem mit den gestaffelt im Grenzland verteilten Festungen, das Diokletian einst errichtet hatte, aufgrund von schlichtem Personalmangel zusammenbrechen.
Die
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