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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Opfern außer den Fingerspitzen noch etwas abgenommen wurde?«
    Lucy, die gerade Peter etwas sagen wollte, wandte sich Francis zu. Sie schüttelte den Kopf. »Unseres Wissens nicht. Es fehlten keine Kleidungsstücke, dem Inventar nach, das wir aufgestellt haben. Das heißt aber nicht, dass wir es mit Sicherheit ausschließen können.«
    Francis machte etwas zu schaffen, doch er konnte nicht sagen, was, und auch seine Stimmen konnten sich nicht entscheiden. Sie waren nur das Echo widersprüchlicher Vermutungen, und er tat sein Bestes, sie auszuklammern, um sich konzentrieren zu können.
    Lucy klopfte nervös mit ihrem Stift auf der Schreibtischplatte herum. Sie drehte sich zu Peter um und fragte: »Haben Sie sonst noch etwas Verdächtiges gefunden?«
    »Nein.«
    »Die Fingerspitzen?«
    »Nein. Und auch kein Messer. Oder die Schlüssel.«
    Sie lehnte sich zurück, doch jetzt meldete sich Francis zu Wort.
    »Ich glaube«, sagte er bedächtig, »das, was ich eben gesagt habe, stimmt nach wie vor.« Er war selbst überrascht, wie entschieden er das sagte. »Bevor du zurückgekommen bist, Peter. Als Evans noch hier war.« Er fühlte sich ein wenig so, wie wenn er sich selbst reden hörte, aber gleichsam einen anderen Francis, nicht den, als den er sich kannte, sondern einen Francis, der er eines Tages sein wollte. »Als ich gesagt habe, dass wir die Sprache des Engels aufdecken müssen.«
    Peter sah Francis fasziniert an, und Lucy beugte sich gespannt vor. Einen Moment zögerte Francis, ignorierte den aufkeimenden Zweifel und sagte: »Ich frage mich, ob das hier nicht die erste Verständigungslektion ist.« Die anderen schwiegen, und er fügte hinzu: »Wir müssen rausbekommen, was er uns sagen will und wieso.«
     
    Einen Augenblick lang fragte sich Lucy, ob ihre Jagd auf einen Killer in der Heilanstalt sie selbst in den Wahnsinn trieb. Doch für sie war Wahnsinn eine Nebenwirkung von Frustration und kein organisches Leiden. Das war eine gewagte Theorie, wie sie merkte, und mit einem gewissen geistigen Kraftakt verwarf sie die Idee. Sie hatte Peter und Francis zum Mittagessen geschickt, während sie selbst versuchte, einen Plan für ihr weiteres Vorgehen zu entwickeln. Allein in ihrem kleinen Büro breitete sie das Krankenblatt des Patienten, den sie am Vormittag befragt hatte, vor sich aus. Das eine oder andere musste doch einen Sinn ergeben, dachte sie. Irgendeine Verbindung musste sich doch zeigen. Der eine oder andere Schritt sollte sich doch als folgerichtig erweisen.
    Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie damit das Gefühl der Widersprüchlichkeit abschütteln, das sie befiel. Jetzt hatte sie einen Namen und ein Beweisstück. Sie hatte schon mit weitaus weniger Material erfolgreiche Verfahren angestrengt. Dennoch war ihr nicht wohl bei der Sache. Die Akte, die sie vor sich hatte, hätte irgendetwas Überzeugendes enthalten müssen, doch das Gegenteil traf zu. Ein schwer zurückgebliebener Mann, der nicht einmal die einfachsten Fragen beantworten konnte, der sie angestarrt hatte, als verstünde er nichts von dem, was sie ihn fragte, hatte etwas in seinem Besitz, das nur der Mörder besitzen konnte. Das passte nicht zusammen.
    Ihr erster Impuls war, Peter noch einmal hinzuschicken und ihn zu bitten, das Hemd aus der Kiste unter dem Bett des Mannes zu holen. Jedes kompetente Gerichtslabor wäre in der Lage, die Blutflecken mit Short Blonds Blut abzugleichen. Möglicherweise befanden sich auch Haare oder Faserreste auf dem Stoff, und eine mikroskopische Untersuchung konnte weitere Verbindungen zwischen dem Opfer und dem Täter zutage fördern. Das Problem dabei wäre nur, dass sie es widerrechtlich konfiszieren würden, so dass es bei einer Verhandlung nicht zugelassen werden konnte. Und dann war da noch der seltsame Umstand, dass die anderen Gegenstände, nach denen sie suchten, fehlten. Auch das leuchtete ihr nicht ein.
    Lucy verfügte über eine beachtliche Konzentrationsfähigkeit. Bei ihrem kurzen, kometenhaften Aufstieg in der Staatsanwaltschaft hatte sie sich durch die Gabe hervorgetan, die Verbrechen, die sie untersuchte, beinahe so deutlich und folgerichtig wie einen Film vor sich abspulen zu sehen. Auf ihrer geistigen Leinwand konnte sie Details zusammenfügen, so dass sie früher oder später den gesamten Tathergang vor Augen hatte. Das machte ihren Erfolg aus. Wenn Lucy den Gerichtssaal betrat, verstand sie sogar besser als der Angeklagte selbst, wie und weshalb er die Tat begangen hatte. Diese

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