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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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und nur geringfügig voneinander abwichen. Doch das war nicht das eigentliche Terrain jeder Wohneinheit. In Wahrheit wurden ihre Konturen und ihre Topographie von all den Varianten an Geisteskrankheit geprägt, die sie beherbergten. Und das war es, was der Mann abzuschätzen versuchte. Ich fing noch einen Blick von ihm auf, und das genügte, um zu wissen, dass er jemand war, der jeden Moment explodieren konnte. Ein Mann, der die Raserei, die in seinem Blut mit der täglichen Dosis Haldol oder Prolixin im Widerstreit lag, kaum unter Kontrolle hatte. Unsere Körper waren ein Schlachtfeld, auf dem sich die gegnerischen Armeen der Psychose und der Narkotika bekämpften, ein Guerillakrieg um die Vorherrschaft, und der Stämmige schien darin genauso verwickelt wie wir alle.
    Ich hatte das Gefühl, der Engel nicht.
    Ich sah, wie sich der Stämmige an einem älteren senilen Mann, einem dünnen, kränklichen Typ, vorbeidrängelte, so dass dieser stolperte und, den Tränen nahe, fast zu Boden stürzte. Der Stämmige lief zügig weiter den Flur entlang und hielt nur einmal kurz an, um zwei Frauen finster anzublicken, die sich in einer Ecke wiegten und zwei Babypuppen in ihren Armen Schlaflieder vorsangen. Als ihm ein verlotterter Kato mit wild zerzaustem Haar in flatterndem Pyjama und langem, wallendem Morgenmantel harmlos schlendernd in die Quere kam, brüllte er den ausdruckslos dreinschauenden Mann an, er solle Platz machen, und lief noch schneller weiter, als ob er mit den Füßen den Takt seiner Aggressionen halten wollte. Und mit jedem Schritt, musste ich denken, entfernte er sich weiter von dem Mann, den wir suchten. Ich glaube, ich kann nicht recht sagen, wieso, aber ich wusste es mit Sicherheit, während ich ihm den Flur entlang folgte. Ich sah es leibhaftig vor mir, wie der Stämmige, kaum dass im Williams der von Lucy arrangierte Streit ausbrach, sich augenblicklich in das Handgemenge stürzte, um Schläge auszuteilen, weshalb er anschließend ins Amherst verlegt wurde. Er war der Typ, der sich nie einfach zurücklehnen konnte, um zu sehen, wie sich ein Konflikt entwickelte, der sich nie in die Ecke duckte oder an der Wand Zuflucht nahm. Jeder Kampf, egal, worum es ging oder wie er ausgebrochen war und wer gegen wen antrat, setzte ihn unter Strom, so dass er aufsprang und die Fäuste schwang. Er liebte einfach den Kampf, weil er darin all die Impulse ausagieren konnte, die ihn peinigten und die sich in der genüsslichen Wut eines Schlagabtauschs entluden. Und wenn er dann blutverschmiert wieder auf die Beine kam, erlaubte es sein Wahnsinn nicht, über das, was er getan hatte, nachzudenken.
    Teil seiner Krankheit war es, wie ich erkannte, stets und ständig auf sich aufmerksam zu machen.
    Aber wieso sollte er mir ins Gesicht sagen: »Ich bin der Mann, den ihr sucht?«
    Ich stand in meiner Wohnung und lehnte den Kopf an die Wand, so dass ich mit der Stirn die Wörter berührte, die ich geschrieben hatte, während ich, in meine Erinnerungen vertieft, innehielt. Der Druck hinter meiner Schläfe erinnerte mich ein wenig an eine kalte Kompresse auf der Haut, die ich als Kind gegen Fieber bekam. Ich schloss die Augen und hoffte, ein bisschen zur Ruhe zu kommen.
    Doch ein Flüstern vibrierte in der Luft.
    »Du hast doch wohl nicht geglaubt, ich würde es dir so leicht machen?«
    Ich drehte mich nicht um. Ich wusste, dass der Engel da war und auch wieder nicht.
    »Nein«, sagte ich laut. »Ich habe nicht gedacht, dass du es mir so leicht machen würdest. Aber ich hab ein bisschen Zeit gebraucht, um die Wahrheit zu begreifen.«
    Lucy sah, wie Francis aus dem Schlafsaal kam und einem Mann nachlief, und zwar nicht demjenigen, auf den sie ihn angesetzt hatte. Sie merkte, dass Francis blass aussah, und sie hatte den Eindruck, dass er zu konzentriert war, um den Di-si-do-Squaredance-Schritt zu registrieren, mit dem die anderen zügig zum Abendessen trabten. Sie machte einen Schritt in seine Richtung, blieb dann aber stehen und folgte dem Instinkt, dass C-Bird vermutlich recht gut wusste, was er tat.
    Als die beiden Männer in den Tagesraum liefen, verlor Lucy sie aus den Augen. Sie wollte gerade denselben Raum ansteuern, als sie Mr. Evans durch den Flur auf sie zustürmen sah. Er hatte den wilden Blick eines Hundes, dem jemand den halb abgenagten Knochen weggenommen hat.
    »Na denn«, sagte er wütend, »da können Sie ja wirklich stolz auf sich sein. Ich habe einen Pfleger mit einem gebrochenen Handgelenk in der Notaufnahme, und

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