Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
…«
    »Nein, darüber hinaus, was ist noch passiert? Der Engel ist aufgetaucht. Er ist aus seiner Deckung gekommen, um den Tänzer umzubringen – mag sein. Sicher wissen wir das nicht. Sehr wohl wissen wir, dass er im Schlafsaal aufgetaucht ist, um Francis mit seinem Messer zu bedrohen.«
    Lucy holte tief Luft. »Ich glaube, ich sehe, was Sie meinen.«
    »Wir müssen ihn noch einmal aus der Reserve locken.«
    Sie nickte. »Eine Falle.«
    Peter stimmte zu. »Eine Falle. Aber was nehmen wir als Köder?«
    Lucy lächelte. Allerdings kein Lächeln, das etwas Lustiges signalisierte. Sie sah eher so aus wie jemand, der begriffen hatte, dass ein hoher Gewinn einen hohen Einsatz forderte.
     
    Am frühen Nachmittag scharte Big Black einen kleinen Trupp Amherst-Bewohner zu einem Ausflug ins Gartengelände um sich. Es war schon eine Weile her, seit Francis gesehen hatte, was aus dem Saatgut geworden war, das sie – vor Short Blonds Tod und Lankys Verhaftung – im Anstaltsgarten ausgebracht hatten.
    Es war ein schöner Nachmittag. Die warme Sonne prallte von den weißen Zierstreifen an den Schmalseiten der Klinikgebäude ab. Eine leichte Brise trieb eine gelegentliche bauschige, weiße Wolke quer über den blauen Himmel. Francis streckte das Gesicht in die Sonne und hörte, während er die Wärme aufsaugte, ein zufriedenes Murmeln in seinem Kopf, das möglicherweise von einer seiner Stimmen, ebenso gut aber auch von einem kleinen Hoffnungsschimmer stammen mochte, der sich in seine Phantasie einschlich. Ein paar Minuten lang glaubte er, alles vergessen zu können, was um ihn her geschah, und er versuchte, einfach nur die Sonne zu genießen. Es war die Art von Nachmittag, die ihn all das Dunkel der Geisteskrankheit für kurze Zeit vergessen ließ.
    An diesem speziellen Ausflug nahmen zehn Patienten teil. Cleo stellte sich, kaum dass sie die Türen des Amherst hinter sich hatten, an die Spitze ihrer Reihe und wogte, trotz ihres ständigen Gemurmels, mit einer Zielstrebigkeit voran, die zu dem wohlig trägen Tag nicht passte.
    Napoleon versuchte zuerst, wenn auch vergeblich, mit ihr Schritt zu halten, weshalb er sich schließlich bei Big Black darüber beschwerte, dass Cleo sie zu schnell marschieren ließ. Daraufhin blieben sie alle stehen, was wiederum einen kleinen Streit zur Folge hatte.
    »Ich muss vorn gehen!«, rief Cleo verärgert. Sie reckte sich hochmütig zu voller Größe auf und blickte mit einer königlichen Geste auf die anderen, die ihren eigenwilligen Vorstellungen von ihrem besonderen Rang entspringen musste. »Das verlangt meine Position. Das ist nicht nur mein Recht, sondern auch meine Pflicht!«, fügte sie hinzu.
    »Dann lauf eben nicht so schnell«, konterte Napoleon und keuchte, dass sein ganzer Körper bebte.
    »Ich gebe das Tempo an«, erwiderte sie.
    Big Black schien der Geduldsfaden zu reißen. »Cleo, bitte …«, fing er an, und sie fuhr zu ihm herum.
    »Bittsteller kommen ungelegen«, sagte sie.
    Big Black zuckte die Schultern und drehte sich zu Francis um. »Geh du voran«, sagte er.
    Für einen Augenblick trat Cleo Francis in den Weg, doch er sah sie mit einem derart zerknirschten, schicksalsergebenen Ausdruck an, dass sie nach einer Sekunde hoheitsvoll verächtlich schnaubte und beiseite trat. Als er an ihr vorbeikam, sah er, dass ihre Augen funkelten, als brächte ein gewaltiges, unsichtbares Feuer ihre Gedanken zum sieden. Er hoffte, dass Big Black es ebenfalls bemerkte, doch er war sich nicht sicher, da der Pfleger versuchte, die Gruppe einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Ein Mann weinte bereits, und eine andere Frau verließ den Gehweg.
    In der Hoffnung, dass die anderen ihm folgen würden, lief Francis los. »Gehen wir.« Nach einem Moment des Zögerns schien die Gruppe Francis in der Führungsposition zu akzeptieren, wenn auch wohl nur, weil es ihnen eine drohende lautstarke Kontroverse ersparte, an der niemand gelegen war. Cleo reihte sich hinter ihm ein und drängte ihn ein paarmal, schneller zu gehen, bis sie sich von Pfiffen und vereinzelten Schreien, die zwischen den Gebäuden wie Pingpongbälle hin und her geworfen wurden, ablenken ließ.
    Am Rand des Gartens blieben sie stehen, und für einen Augenblick schien die Spannung, die sich in Cleos Kopf aufgestaut hatte, ein wenig nachzulassen. »Blumen!«, sagte sie staunend. »Wir haben Blumen gepflanzt!«
    Wilde Büschel aus Rot und Weiß, Gelb, Blau und Grün waren aufs Geratewohl am Rand des Klinikgeländes verstreut.

Weitere Kostenlose Bücher